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Das ermordete Haus

Das ermordete Haus

Titel: Das ermordete Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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religiösen Motiven, auf denen jedoch nur noch das rote Gewand Jesu zu erkennen war.
    Séraphin ging am Kamin vorbei und näherte sich dem verhängten Bett in der abgedunkelten Ecke des Zimmers. Am Fußende des Bettes blieb er im Licht stehen, damit er gut zu erkennen war.
    Im Bett lag ein Mann und starrte ihn wortlos an. Er hatte die Decke bis unters Kinn gezogen und trug einen Hut auf dem Kopf. Das wenige, das Séraphin unter dem Hut erkennen konnte, verriet ihm, daß auch dieser Mann vom Tode gezeichnet war. Ein dumpfes Gefühl der Auflehnung bemächtigte sich seiner bei dem Gedanken, daß er offenbar nur Tote und Sterbende vor den Richterstuhl seiner Mutter zerren konnte. Die einzigen lebenden Wesen, die sich seinem Zorn gestellt hatten, waren die beiden Hunde gewesen. Er kam zu spät. Das Verbrechen, das an ihm klebte, war schon zu stark verblaßt. Es war nur noch eine Geschichte, die man sich abends vor dem Schlafengehen erzählte, wenn man sich an der Haustür verabschiedete, und die einem einen wohligen Angstschauer über den Rücken jagte.
    Angesichts dieses Sterbenden fühlte Séraphin eine furchtbare Bitterkeit in sich aufsteigen. Nichts als kümmerliche Reste eines Mörders hatte er da seit Monaten gejagt. Aber er mußte jetzt alles wissen.
    Aus dem alten Mund, der aussah, als hätte man ihn wie einen Beutel mit einer Kordel zugeschnürt, drangen gut hörbare Worte: »Noch ein bißchen später, und du hättest mich nicht mehr vorgefunden. Ich trage den Tod im Leib. Ich muß ihn mir geholt haben, als ich Didons Wehr hochgezogen habe. Ich war durchnäßt bis auf die Knochen …«
    Séraphin nahm die beiden Fundstücke aus dem Brunnen aus seiner Hosentasche. Er warf sie in Reichweite des Kranken auf die Bettdecke.
    »A. Z., das sind doch Sie?« fragte er.
    »Ja, das bin ich: Alexandre Zorme. In meinem jetzigen Zustand klingt dieser finstere Name lächerlich. Aber früher, da hat sich keiner über ihn lustig gemacht.«
    Als er seufzte, pfiff seine Brust wie ein Dudelsack. Seine Hand glitt über die Bettdecke und suchte die Gegenstände, die Séraphin dort hingeworfen hatte. Er nahm einen in die Hand und betastete ihn.
    »Das ist das meinige«, sagte er, »da brauche ich nicht einmal hinzuschauen. Ich erkenne es schon beim Anfassen. Ich kann auch fühlen, daß die Klinge fehlt. Das Wasser und der Rost haben alles aufgefressen … Mein tranchet … Ich habe mein ganzes Leben kein neues mehr gekauft. Komisch, daß wir damals überall unsere Initialen einbrennen mußten! Diese ständige Angst, es könne einem etwas geklaut werden«, sagte er mit einem Grinsen. Dann schüttelte er den Kopf.
    »Ohne das Ding da«, sagte er, »wäre ich jetzt tot. Und du wärst tot. Und niemand hätte je etwas erfahren.«
    Beim Atmen gab er ein seltsam klapperndes Geräusch von sich. Hin und wieder stieß er gewaltig auf, wie einer, der zuviel gegessen hat. Er hielt Séraphin mit dem eindringlichen Blick seiner schwarzen Augen gefangen. Beiläufig strich er mit der Hand über den Horngriff des Messers, das er vor vierund- zwanzig Jahren auf den Grund des Brunnens geworfen hatte.
    »Ich hätte nicht gedacht, daß ich es jemals wiedersehen würde«, sagte er. »Ich hätte nicht gedacht, daß es mir jemand zurückbringen würde. Schon gar nicht du.«
    »Ich mußte Bescheid wissen«, sagte Séraphin.
    »Das ist es ja … Ich habe gleich geahnt, daß du würdest Bescheid wissen wollen, als ich dich mit dem alten Burle gesehen habe. Der hat sein Wissen nicht mit in den Himmel genommen …« sagte er hämisch.
    »Von ihm weiß ich es nicht.«
    »Und du glaubst, jetzt wüßtest du Bescheid?«
    »Ja«, sagte Séraphin.
    »Dann laß dir sagen, daß du nichts weißt! Überleg mal, warum ich zwei Messer in den Brunnen geworfen habe. Hast du gesehen, was für Initialen auf dem anderen stehen?«
    »F. M.«, sagte Séraphin.
    »Stimmt … F. M.«, wiederholte Zorme. »Félicien Monge. Als ich reinkam, hatte er gerade deine Mutter umgebracht. Sie … Sie bewegte sich noch … Sie kroch auf allen vieren mit ihrem aufgeschlitzten Hals, und ich hab gehört, wie das Blut rausspritzte. Wie aus einem Flaschenhals. Sie kroch auf dich zu und streckte ihre Hand abwehrend nach Monge aus, der dich schon gepackt hatte und deinen Kopf nach hinten bog, um dich richtig zu treffen … Damit!«
    Er fuhr mit der Hand tastend über seine Bettdecke, packte den anderen Horngriff, an dem wie bei seinem tranchet die Klinge fehlte, fuchtelte damit herum, und Séraphin

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