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Das ermordete Haus

Das ermordete Haus

Titel: Das ermordete Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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plötzlich mit erhobener Stimme. »Ich verbiete euch zu behaupten, daß er schön ist. Was wißt ihr schon davon, was schön ist und was nicht?«
    »Jetzt fängt sie doch tatsächlich an zu schreien!« empörte sich Clorinde.
    »Ja, ich schreie. Richtig gehört! Der Séraphin Monge ist nicht schön. Er ist unglücklich, zum Sterben unglücklich.«
    »Eben, eben«, sagte Célestat. »Und mit dem Unglück liebäugelt man erst gar nicht. Es ist ansteckend, das Unglück, ansteckend wie die Pest …«
    Er tauchte seinen Löffel in die Suppe. Aber der Hunger war ihm vergangen. Eine unerklärliche Unruhe verdarb ihm den Appetit.
    Séraphin erschien jeden Sonntagmorgen in La Burlière. Er schloß sich ein und drehte dabei den Schlüssel zweimal herum. Bald begann der Schornstein zu rauchen.

Als die Küche leer war und nur noch die Wände, die Decke und der Fußboden übrigblieben – und die schwarzen Flecken eingetrockneten Bluts, die sich an den verschiedensten Stellen zu rätselhaften Mustern vereinigten –, machte er sich über Zimmer, Kammern und Flure her. Er verbrannte die Schränke, den Schreibtisch seines Vaters, die Türen der Wandschränke.
    Ab und zu kippte er die kalte Asche auf die Steinplatten des Fuhrhofs, und der Wind hatte die Woche über Zeit, sie fortzublasen.
    Stundenlang blieb er vor dem Feuer hocken und ließ sich das Gesicht rot rösten, reinigte mit der Feuerzange den Kamin oder stocherte in den Stapeln von Dingen herum, die seiner Familie gehört hatten und die nun von Flammen verzehrt wurden, wobei sie manchmal in den ungewöhnlichsten Regenbogenfarben aufleuchteten.
    Er machte sich an die lackierten Stühle in den Schlafkammern, deren kostspielige grüne Strohbespannung niemals das Tageslicht gesehen hatte. Stapel von Bettüchern, deren scharf geknickte Falten erkennen ließen, daß sie nie benutzt worden waren, die blauen Hemden mit weißem Blütenmuster, die seinem Vater und seinem Großvater gehört hatten, die Unterröcke der Girarde (er hielt sie mit ausgestrecktem Arm weit von sich), die Kittelchen seiner beiden älteren Brüder, die im Kindesalter gestorben waren, alles wurde zu Asche. Und all diese Andenken dufteten noch nach den in Flaschenform geflochtenen Lavendelzweigen, die er in den Schränken vorfand und ins Feuer warf.
    Eines Tages verschwand der Rauch über La Burlière. Eines Tages konnte Séraphin gemessenen Schrittes in den hallenden Räumen des Gehöfts umhergehen, wo nur noch Wände, Bodenfliesen und Zimmerdecken übriggeblieben waren.
    Als Marie Dormeur erfuhr, daß der Kamin nicht mehr rauchte, machte sie sich auf, um zu sehen, was es damit auf sich habe. Sie fand sich vor der verschlossenen Tür wieder, an die sie vergeblich klopfte. Sie hielt ihr Ohr daran. Da vernahm sie deutlich ein Schreiten, ein schweres, feierliches Schreiten, das in dem Haus widerhallte, dem man die Seele genommen hatte.
    Es lief ihr kalt den Rücken hinunter. Ihr schien – und das Gefühl wurde stärker, je aufmerksamer sie lauschte –, daß diese Schritte nicht zu dem Mann gehören konnten, den man Séraphin Monge nannte und mit dem sie ihr Leben teilen wollte.
    Séraphin brachte eine Klappleiter mit und stellte sie an die Hausmauer. Er stieg aufs Dach. Er löste einen Ziegel. Er warf ihn hinab. Der Ziegel zerbrach auf den Steinen des Fuhrhofs mit dem Klang eines zerspringenden Tellers. Séraphin wiederholte den Handgriff, einmal, zehnmal, hundertmal. Am Ende des Tages klaffte eine Wunde im Dach von La Burlière. Die Abendsonne beschien durch die nackten Dachbalken ein Stück Lehmwand unter dem südlichen Vorratsspeicher. Die Dunkelheit zerriß. Vom Licht aufgescheuchte Spinnen flohen in alle Richtungen, auf die Löcher in den Wänden zu. Die Luft, die plötzlich durch diese neue Öffnung wehte, wirbelte den Staub alten Heus auf, der hoch oben im Himmel flimmerte.
    An ebenjenem Abend geschah es, daß eine Eule gespenstisch weiß mit aufgespannten Flügeln aus dem Dachgebälk aufstieg. Taumelnd kämpfte sie einige Sekunden gegen die blendende Sonne, dann trieb sie kraftlos und mit einem verstörten Schrei auf den Steineichenhain bei Auges zu.
    Es kam der Tag, an dem der Dachstuhl von La Burlière, fest und dauerhaft in den Mauern verankert, sich entblößt im vollen Sonnenlicht dem Blick darbot, mit all seinen hellen Balken, die seit Jahrhunderten an Ort und Stelle trockneten.
    Séraphin machte sich mit der doppelgriffigen Säge über ihn her. Das dreihundert Jahre alte, bei günstigem Mond

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