Das ermordete Haus
auf dem sie gesessen hatte.
»Die Liebe …« murmelte er schließlich.
Langsam zog er seine gewaltigen Schultern hoch und ging ins Haus zurück, um seinem Möbelfeuer neue Nahrung zu geben.
4
»ROSE! ES heißt, du hättest dich zu diesem Straßenarbeiter hingestellt und dich mit ihm unterhalten.«
»Er hat auch einen Namen«, sagte Rose.
»Sein Name geht mich nichts an.«
»Er ist genauso alteingesessen wie wir«, sagte Rose. »Wenn man ihm nicht die Eltern umgebracht hätte, wäre er ebenso angesehen wie wir.«
Sie stellte die Dessertschalen so energisch in die irdene Spülschüssel, daß sie klirrten. Sie sah zur Dachluke hinaus. Die Mittagssonne brannte auf den angetrockneten Lauzon herab, auf den kleinen Wasserfall, von dessen Existenz nur noch eine gut armlange Zunge aus kreidefarbenem Moos zeugte, und auf die Trüffeleichen am Abhang von Lurs, die im heißen Wind trauerten.
Sie kam zum Eßtisch zurück, an dem ihr Vater einen Apfel schälte. Die Térésa Sépulcre sammelte alle Brosamen einzeln von der Wachstuchdecke auf. Roses Schwester, die Marcelle, zählte die Zuckerstücke, die sie aus der Schachtel nahm, um sie in die Blechdose zu geben. Die Fliegen schwirrten brummend um die faisselles herum, die mit Löchern versehenen Schalen aus Steingut, aus denen die gestandene Milch abtropfte.
»Rose«, fing der Didon Sépulcre wieder an, »damit das klar ist: Ich will nicht, daß der Straßenarbeiter dir schöne Augen macht …«
»Nicht er macht mir schöne Augen, sondern ich ihm!« sagte Rose. »Ich frage mich, warum ihr nicht wollt, daß ich mit Séraphin rede. Fändet ihr es am Ende unanständig, wenn ich einen schönen Mann heiraten würde?«
»Pah!« rief Marcelle giftig aus. »Auf dich wird er es wohl kaum abgesehen haben, der Séraphin!«
Marcelle war ein hochaufgeschossenes Mädchen. Mit ihren hervorstehenden Knochen, der gewölbten Stirn und dem langen Gesicht, mit ihren Fesseln, die an ein Maultier erinnerten, ähnelte sie ihrem Vater. Am oberen Ende ihrer hölzernen Schenkel zeigten sich zwei eben mal faustgroße Hinterbacken, mit denen sie vergeblich arrogant zu wackeln versuchte. Ihre Vorderfront war flach wie eine Türfüllung ohne Verzierungen, und man konnte noch nicht sagen, ob sie einmal Formen annehmen würde oder nicht. Sie erblaßte vor Neid, wenn sie ihre ältere Schwester ansah, denn mit ihren achtzehn Jahren verfügte Rose im Überfluß über all das, was Marcelle fehlte.
»Was willst du schon groß wissen?« fragte Rose.
»Ich habe gesehen, wie er mit der Marie Dormeur geredet hat.«
»O je, wenn er die heiraten würde! Der Ärmste! Seine Kinder würden der Clorinde ähnlich sehen! Da würde was Schönes draus werden, stell dir das mal vor! Nein«, fuhr Rose ärgerlich fort, »du mußt wohl gesehen haben, wie die Marie Dormeur mit ihm geredet hat, das ist nicht dasselbe …«
»Nein, wenn ich’s dir doch sage! Er war’s, er hat mit ihr geredet. Und er hat geredet und geredet! Ich habe im Garten Gras gemäht, unter den Olivenbäumen. Ich hab die beiden so deutlich gesehen, wie ich dich jetzt sehe. Er war’s, er hat mit ihr geredet. Und da war sogar noch jemand, der hat sie belauscht … Der dachte wohl, es würde ihn niemand sehen. Das war ein Anblick! Er kam beinahe angekrochen, bis unter die Lorbeerbüsche von La Burlière. Er hat sich im Gebüsch herumgedrückt wie ein Wildschwein. Er hat alles mit angehört! Aus knapp zehn Metern Entfernung.«
Didon schob den Apfelschnitz, den er gerade hatte zerbeißen wollen, in die Backe.
»Wer war das?« wollte er wissen. »Tja«, sagte Marcelle, »da muß ich passen.«
»Willst du mich auf den Arm nehmen? Du hast die Marie gesehen, du hast den … den Straßenarbeiter gesehen, und den, der sie belauscht hat, hast du nicht gesehen?«
»Nein!« sagte Marcelle und sah ihn herausfordernd an.
Didon schüttelte den Kopf. Eine große Unruhe überkam ihn.
»Marie, es heißt, du hättest dich mit dem Straßenarbeiter unterhalten. Das gehört sich doch nicht!«
»Warum?«
»Darum …«
»Nur weiter so«, sagte Clorinde mit ihrer Baßstimme, »wo der Krieg ja so viele Männer in Lurs übriggelassen hat. Da verbietest du ihr am besten gleich, nach denen zu schauen, die noch da sind!«
»Ein Straßenarbeiter!« Célestat lachte abfällig.
»Na und? Was hast du denn am Séraphin Monge auszusetzen? Er ist ein guter Junge und fleißig! Und schön wie der junge Tag!«
»Nein, das stimmt nicht! Schön ist er nicht!« rief Marie
Weitere Kostenlose Bücher