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Das ermordete Haus

Das ermordete Haus

Titel: Das ermordete Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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zu trennen, aber kaum hatte er einen Fuß auf den Boden gesetzt, als er über sich ein seltsames Knistern vernahm, das von der Verstrebung herrührte, die er zuvor mit seinen Hammerschlägen erschüttert hatte. Er rannte auf die beiden Mädchen los und stieß sie grob vor sich her. Noch ineinander verschlungen hörten die drei an der Stelle, an der sie sich noch einen Augenblick zuvor befunden hatten, ein Stück aus dem Fries der génoises aufschlagen, das gut einen Zentner wiegen mußte. Die in Schwärmen umherfliegenden Schwalben schrien vor Entsetzen. Die drei jungen Leute blickten erstarrt auf den Brocken, der sie um ein Haar erschlagen hätte. Die beiden Mädchen taten den Mund nicht mehr auf.
    »Geht schon weg!« sagte Séraphin. »Außer mir kann hier niemand bleiben.« Sanft führte er sie weg, die eine zu ihrem Fahrrad, die andere zu ihrem triporteur.
    »Hört mir gut zu«, sagte er. »Ich werde niemals heiraten. Ich werde niemals Kinder haben. Ich werde niemals jemand lieben.« Rose unterdrückte ein Schluchzen und rannte weg. Marie ging mit hängendem Kopf langsam auf ihr Gefährt zu. Sie wandte sich um und sah Séraphin gerade in die Augen.
    »Und die Schwalben …« sagte sie mit leiser Stimme.
    »Ist schon recht«, sagte Séraphin, »ich warte, bis sie ausgeflogen sind.«
    5
    UND er wartete. Aber sobald die Nester leer waren, stieg er wieder seine Leiter hinauf und begann, zuerst den Fries der génoises und dann die riesigen Flußsteine aus dem Bett der Durance, mit denen die weißgekalkten Mauern von La Burlière aufgeführt waren, mit wuchtigen Hammerschlägen zu bearbeiten.
    Es hatte sich herumgesprochen. Sonntags, nach dem Mittagessen, kamen von nun an sämtliche Müßiggänger aus Lurs und Peyruis herbeigelaufen, um sich zu amüsieren und ihre Kommentare über den Irrsinn dieses Mannes abzugeben, der seine Möbel verbrannt hatte und nun sein Haus abriß. Bisher hatten sich Célestat Dormeur und Didon Sépulcre damit begnügt, ihre Töchter sanft zu ermahnen; von nun an jedoch hieß es: »Wenn ich dich mit diesem Hanswurst sprechen sehe, schlage ich dir den Schädel ein!«
    Eines Tages erschien ein Mann, der nichts sagte und oft wiederkommen sollte. Er setzte sich auf das Kapitell unter einer der Zypressen. Da blieb er, das Kinn auf die Hand gestützt, in Gedanken versunken. Dieser Unbekannte stammte nicht aus derselben Welt. Er war gekleidet wie ein Herr. Er rauchte Zigaretten, die er einem goldenen Etui entnahm. Er kam in einem roten Automobil angefahren, dessen Kühler von funkelnden Rohren umgeben war, die wie eine Krone wirkten. Wenn er ausstieg, schlug er die Tür mit einem Ausdruck hochmütiger Langeweile hinter sich zu.
    Séraphin schenkte ihm ebensowenig Aufmerksamkeit wie den Müßiggängern. Er warf die Steine und den Schutt auf die Platten im Hof. Wenn genug zusammengekommen war, stieg er hinunter. Mit der Schaufel und mit seinen Händen füllte er wieder und wieder die Schubkarre, schob sie bis ans Ufer der Durance und entleerte sie zwischen den kleinen Inseln.
    Langsam ging der Sommer vorbei. Es kamen verregnete und windige Tage. Und es kam der Tag, an dem die Hochwiesen der Alpen die Schafe auf die Wege ins Tal entließen. Es fluteten die scabots heran, Herden von zehntausend Tieren. In den Wollzotteln der Widder hing noch der Geruch der Geröllhalden des Queyras und der Heidelbeersträucher unter den Lärchen. Breitköpfige Esel waren in diesen Strom eingekeilt, die durch die unbekümmert gemächliche Gangart der Schafe um sie herum aufgehalten wurden. An der Spitze ging der baïle, der Schäfer, der mit seinem bedächtigen Altmännerschritt das Tempo bestimmte.
    Doch das Schlußlicht dieser Massen von Tieren bildete immer ein halbes Dutzend von halbwüchsigen Hütejungen, die vor Schmutz starrten und unter ihrem abgenutzten Lederzeug, das ihnen nur wenig Schutz vor den Elementen bot, fast schon zu schimmeln begannen. Angegriffen von schlechtem Wetter und aufgestauter Müdigkeit, waren sie aufgekratzt und ungeduldig und ließen keine Gelegenheit zu Streit und Prügelei verstreichen.
    Wie alle Welt hatten auch sie erfahren, daß in Lurs ein Verrückter sein Haus abriß. Das war für sie eine willkommene Gelegenheit, sich etwas Abwechslung zu verschaffen. Mit erhobenen Peitschen versammelten sie sich am Fuß der Mauer, auf die der Koloß mit Hammerschlägen einhieb. Sie lachten und spuckten durch die Lücken zwischen ihren schiefstehenden Zähnen. Sie hoben Steine auf, um sie nach ihm

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