Das ermordete Haus
sicherte und der Großvater bei den noch leeren Flaschen blieb und mit stechendem Blick wachte, als wäre der Müller ein Dieb, als bestünde die Gefahr, daß die Nachbarn und Freunde, die warteten, bis sie an der Reihe waren, sich heimlich ein oder zwei Flaschen unter den Nagel reißen könnten.
Und dann war man fein heraus. Man konnte die Türen zuwerfen, sich in sein Haus verkriechen und mit sadistischer Freude den anderen zusehen, wie sie sich gebeugt auf den Trittleitern stehend in den Olivenhainen abquälten. Aller Vorsorge zum Trotz konnte es dennoch vorkommen, daß man abends mit eisigen Füßen und steifen Knien ins Bett ging, mit Erfrierungen an den Ohren, so daß man nicht wußte, auf welcher Seite man den Kopf aufs Kissen betten sollte. Man konnte nicht sicher sein, daß der Ischias oder eine Grippe einen nicht doch ans Bett fesselte. Denn Sankt Katharina hin oder her, das Wetter tat, was es wollte, und es war nicht auszuschließen, daß der fünfundzwanzigste November und die Tage danach düsteres Wetter brachten und die unerbittliche Kälte einem bis auf die Knochen ging.
Denn der Ölbaum ist der Baum des Leids. Frieden bringt er nur denen, die ihn durch Gott betrachten. Man sollte es ihm eigentlich ansehen. Verkrümmt, knorrig, buckelig sieht er aus, er nimmt die gebeugte Haltung eines Greises ein, der an alle Heimtücken des Wetters gewöhnt ist. Wenn man ihn so betrachtet, wie er auch im Rauhreif noch stoisch unter der Last seiner Früchte dasteht – manchmal hängen nur wenige an jedem Zweig, manchmal trägt er so viele, daß die Äste fast brechen, und in beiden Fällen gibt dies Anlaß zur Klage –, sollte einem eigentlich einleuchten, daß man sich auf ihn einstimmen muß, ebenso stoisch sein muß wie er, um seine Früchte zu ernten. Trotzdem versucht man jedes Jahr aufs neue, das Wetter zu überlisten. Man versucht, es vorauszuahnen, so wenig wie möglich darunter zu leiden. Daran erinnert die Redensart von Sankt Katharina. »O ja!« seufzte Didon Sépulcre. »Und danach, wie das eben so geht, kommt dann ein milder Januar, der sich so freundlich gibt, daß es ein Vergnügen gewesen wäre, die Oliven zu ernten, ohne Regen, ohne Mistral, ein Januar, der von Anfang bis Ende nur so strahlt, so daß er die Veilchen hervorlockt und – nicht zum ersten Mal – diese unerfahrenen Mandelbäume reinlegt, die natürlich sofort wie die Trottel anfangen zu blühen!«
Von neuem stieß Didon einen tiefen Seufzer aus.
»Schön und gut«, sagte er sich, »aber Sankt Katharina ist den Leuten nun einmal heilig. Wenn die Mühle nicht spätestens zum ersten Dezember für die Oliven bereit ist, würden sie kommen und dich aus dem Bett prügeln, diese Hampelmänner!«
So grübelte Didon Sépulcre vor sich hin, die Schaufel geschultert, das Gewehr umgehängt, den Fetteimer an der Hand baumelnd. Im Rauschen des Lauzon, das allmählich lauter wurde, näherte er sich der Böschung des Mühlgerinnes. Er ging durch diesen Nebel, der die Blätter der Espen beschwerte und sie wie Regen niederrieseln ließ. Das Wetter war richtig krank. Der Herbst ging in Fäulnis über. Die Eichen waren drei Wochen zu früh dran. Sie waren schon golden, bald würde ihr Winterfell sie stumpf werden lassen.
Didon tappte in diesem Eischnee herum, an den er nicht gewohnt war. Sein Besitz hielt ihn zum Narren: Er sah ganz anders aus, als er ihn kannte. Fast wäre er gegen die Verstrebung des großen Wehrs gestoßen, von der er sich noch mindestens drei Meter entfernt geglaubt hatte.
Er kletterte in das glitschige Gerinne hinab. Er hängte das Gewehr an die Verstrebung. (Gar nicht so leicht, es von dort im Notfall schnell herunterzuholen, aber was soll man machen?) Er spuckte in die Hände. Er ging beherzt an die Arbeit. Es lief gut. Schaufelweise warf er den kompakten Schlamm neben den Graben, auf den der vergangenen Jahre, wo er mit einem kurzen Platsch landete. Er säuberte den Boden des Wehrs. Dieses Wehr, das man wie eine Guillotine herabfallen ließ, vielleicht stammte es noch von den allerersten Sépulcres. Es war ebenso ehrwürdig, ebenso gut erhalten, wenngleich bar jeder Farbe, wie alte Familienmöbel in einer geschützten Stube.
Hinter diesem Eichentor floß der Lauzon über den Schotter, seine Wellen trugen schon Schaumkronen. Dieser Lauzon hatte so seine Launen. Oft mußte zusätzlich ein Pferd eingespannt werden, um die Mühlsteine zu bewegen, so schwach war die Strömung bei niedrigem Wasserstand. Manchmal mußte man
Weitere Kostenlose Bücher