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Das ermordete Haus

Das ermordete Haus

Titel: Das ermordete Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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achtundvierzig Stunden warten, bevor die Gerinne wieder gefüllt werden konnten. Andererseits gab es auch wieder Jahre, in denen man ihn mit aller Kraft zurückhalten mußte, wie einen Hengst, wenn er in den Mulden bei Montlaux, den Niederungen nördlich von Ganagobie und auf den Felsplatten bei Maltortel genug Wasser gesammelt hatte, um wie ein Raubtier zu brüllen und entschlossen sein Teil zur Bösartigkeit der Dinge beizutragen.
    Zärtlich fuhr Didon mit seinen dick eingefetteten Händen über die Gleitschiene, damit der Schieber sich leichter bewegen ließe. Währenddessen lauschte er auf den Lauzon, der klang, als ob er lauter Flaschen mit sich führte. Dieses Jahr würde es viel Wasser geben. Darin irrte er sich selten, der Didon. Wenn er beim Reinigen des Wehrs sein Ohr gegen die Bretter preßte, als horche er an einer Tür, dann sagte ihm das jeweilige Geräusch, was mit diesem launenhaften Fluß bis Sankt Katharina geschehen würde.
    Dieses Jahr würden sie die Oliven mit Klumpen an den Füßen ernten; fünf Kilo schwere Sandklumpen würden an jedem Schuh hängenbleiben, wenn die Trittleiter an einen anderen Ort gestellt werden mußte. Mit steifen Knien würden die Leute zur Mühle kommen. Davon würden sie noch lange reden … Bei dieser Vorstellung mußte Didon lächeln. Wie gern hörte er in der warmen Mühle den Olivenpflückern beim Jammern zu!
    Plötzlich lief ihm ein Frösteln den Rücken hinunter und versetzte ihn in Spannung. Fühlte er da nicht einen Blick auf sich gerichtet? Er riß das Gewehr an sich, drehte sich um, versuchte mit den Augen den Nebelkokon zu durchdringen, der ihn von allen Seiten umgab. Er war allein. Aber was hieß das schon: allein? Wenn jemand seinen Bewegungen genau an der Grenze folgte, an der der Nebel undurchdringlich wurde, so war er wie hinter einem Vorhang versteckt, und Sépulcre konnte ihn nicht sehen. Aufs Geratewohl schießen, ohne Warnung, als Einschüchterung? Wenn es nun aber gar nicht das war, was er erwartete – was er schon seit zwanzig Jahren erwartete und was er jetzt nach Gaspard Dupins Tod, da war er sich sicher, genau über sich schweben fühlte –, wenn es nicht das war, sondern nur irgend jemand, der ohne Genehmigung geangelt hatte? Oder irgendein Nachbar, der unter den Pappeln nach Austernpilzen suchte? Nein. Schießen war keine Lösung.
    Doch den ganzen Rest des Tages war es Didon bei der Arbeit unbehaglich zumute, ständig war er auf der Hut, schielte nach rechts und nach links und hielt immer wieder plötzlich inne, um irgend jemanden bei irgend etwas zu überraschen.
    Während er sich so langsam von einem Gerinne zum nächsten und von Sickergrube zu Sickergrube weiterarbeitete, spürte er immer wieder diesen Blick im Rücken (und das schlimmste war, daß er wußte, wessen Blick es war). Einmal glaubte er sogar, ein rasch unterdrücktes Husten zu hören, das er gleichfalls erkannte. » Qué siès? « Wer ist da? rief er, das Gewehr fest im Griff. Als ob er es nicht gewußt hätte. Doch die einzige Antwort war das Rieseln der Espenblätter und das helle Geräusch wie von aneinanderschlagenden Flaschen, das vom Lauzon her kam.
    Mit einem unguten Gefühl ging er nach Hause. Dieses unsichtbar gegenwärtige Wesen, das ihm den ganzen Tag hinterhergeschnüffelt hatte, ging ihm nicht aus dem Sinn. Daß es stumm im hintersten Winkel seines Gedächtnisses verharrte, unbeweglich wie eine Steinstatue auf einem öffentlichen Platz, ließ es nicht weniger bedrohlich erscheinen. Einige Tage später hatte er durch ruhiges Nachdenken alle Risse und Sprünge seines Innern abgedichtet, durch die die wilde Angst hätte ungezügelt nach außen gelangen können. Er war fast gelassen. Das Reinigen der Gerinne und der Wehre hatte er ohne Zwischenfälle hinter sich gebracht. Alles war sauber: die Binsen entfernt, der Damm verstärkt, die Kanäle ausgeschabt, das große Wehr geschmiert. Es blieben nur noch wenige Kleinigkeiten, die allerdings höchste Sorgfalt erforderten, im Inneren der Mühle am Räderwerk zu erledigen. Den ganzen Tag hatte er damit zuge- bracht, die Kanten der Zapfen, Stifte und Keile zurechtzu- schnitzen, die er dort anzubringen gedachte, wo der Mechanismus zuviel Spiel hatte.
    Was ihm jetzt noch zu tun blieb, war die Arbeit eines Uhrmachers. Er mußte jede Unregelmäßigkeit in der Drehung der Kupplungsscheiben beseitigen, so daß es auf den ganzen einhundertfünfzig Metern von dem Einlaßwehr oben am Lauzon bis zur Antriebsachse der Mühlsteine

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