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Das ermordete Haus

Das ermordete Haus

Titel: Das ermordete Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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eigenen Haus.
    Um Licht zu machen, drehte er den quietschenden, feuchten Schalter, der ihm jedesmal einen elektrischen Schlag versetzte. Licht war eigentlich zuviel gesagt. Die wenigen Vierzig-Watt- Birnen kamen kaum gegen den öligen Film an, der alles überzog. Hier waren die Luft, die Mauern, die Decke und der Fußboden so mit Öl vollgesogen, daß es sogar durch die Fassade hindurchsickerte und dem ganzen Gebäude die dunkle Farbe der Oliven verlieh. Über alledem herrschte der Geruch der infers. Diese infers sind tiefe Gräben, die die Reste des ausgepreßten Fruchtfleischs aufnehmen. Die Geizigen tragen diesen Bodensatz in Eimern nach Hause und entziehen ihm in vierzehn Tagen harter Arbeit mit einem Teelöffel noch einen halben Liter Öl. Die Großzügigeren überlassen ihn dem Müller. Von Jahr zu Jahr häuft er sich in den infers an und gärt vor sich hin. Die Masse besteht aus schwammigen Fladen, dick wie Rinderleber und schmierig wie Essigmutter. Drückt man darauf, sondert sich eine zähe, stark riechende Substanz ab, mit einem ganz eigenartigen Geruch – halb nach Trüffeln duftend, halb nach Fäulnisgasen stinkend –, der letztlich die Nase aber doch nicht beleidigt. Einige dieser Kuchen schlummern tief unten in diesen Abfallgruben, seit die ersten Sépulcres hier Öl ausgepreßt haben. Es ist eine Tradition, sie niemals zu reinigen. Früher kamen die Armen hierher, um das bißchen Öl für den Docht der Stallampen zu holen, und die Priester holten es für das Licht auf dem Ruhealtar.
    Die Térésa meinte immer, daß diese infers in einer so sauberen Mühle wie der ihren nichts zu suchen hätten und daß Didon, hätte er auch nur einen Funken Schamgefühl, sie längst hätte zuschütten sollen. Wie jedes Jahr zu Beginn der Saison hatte sie es ihm auch heute wieder gesagt. Didon zuckte mit den Schultern und lächelte, als er daran dachte. Sogar Térésas ständige Vorhaltungen taten ihm gut in seiner Angst. Sie beruhigten ihn wie der Geruch der infers.
    Sorgsam legte er sein Gewicht auf einen Stapel Preßmatten. Seine durchnäßte Jacke und Mütze hängte er an die Haken, wo die Arbeiter sich umzogen. Er leerte den Sack mit den Werkzeugen auf dem Boden aus und machte sich an die Arbeit. Er arbeitete lange, ruhig, jede Furcht war verflogen. Dennoch kam es ihm einige Male, wenn er gelegentlich zum kleinen Fenster hinschaute, so vor, als ob die Sintflut, die von der Regenrinne herabrauschte, einen anderen Klang annahm – als würde sie plötzlich von einer Zeltplane unterbrochen oder von einem Regenschirm … aber wenn man sich mit jeder Kleinigkeit aufhalten wollte …
    Alles war jetzt an seinem Platz, festgekeilt, geschmiert, genau eingestellt, aber Didon mußte sich noch vergewissern, ob er auch nichts vergessen hatte. Dazu mußte man den gesamten Mechanismus rückwärts laufen lassen.
    Vor sich hin brummelnd suchte er eine Weile lang vergeblich nach dem langen Stab mit der Eisenspitze am Ende, der nur hierfür benutzt wurde. Er fand ihn dort, wo er nicht hingehörte, hinter dem großen Ofen an das Rohr gelehnt, gut versteckt in einem dunklen Winkel. Wahrscheinlich hatte ihn letztes Jahr einer der Taglöhner dorthin gestellt, nur damit er, Didon Sépulcre, lange danach suchen müßte.
    Er stieg mit diesem Werkzeug über die Einfassung des großen Beckens und setzte die Eisenspitze des Stabes unter einem der Mühlsteine an. Indem er sich mit seinem ganzen Gewicht gegen den Hebel stemmte, brachte er die beiden tonnenschweren Mühlsteine dazu, sich Zentimeter um Zentimeter zu bewegen. Gleichzeitig horchte er aufmerksam auf die Zahnräder, die sich der Bewegung anschlossen, von den langsamen bis hin zu den allerkleinsten, die sich mit höchster Geschwindigkeit drehten. Sie ließen nicht mehr das mindeste Knarren hören, nicht den kleinsten Seufzer – die Saison konnte beginnen. Leichtfüßig sprang Didon zu Boden und stellte den Hebel an seinen angestammten Platz zurück, wo er ihn im nächsten Jahr schnell wiederfinden würde.
    Jetzt mußte er nur noch einen Liter Olivenöl in das steinerne Lager der Stahlachse des Wellbaums gießen. Auf diesen letzten Baum wirkte die gesamte Antriebskraft. Er war das letzte Glied der Kette. Jeder Stoß kam hier verhundertfacht an. Er wurde mit Olivenöl geschmiert, weil er nichts anderes vertrug. Verwendete man irgendein anderes Fett, so kreischte er bei jeder Umdrehung der Mühlsteine wie ein Säugling, so daß er sogar die Gespräche der Kunden übertönte. Mit der

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