Das ermordete Haus
geschultert, in der Hand den Honigeimer voll rosafarbenen Fetts, um die beiden Führungsschienen des Wehrs zu schmieren. Der Nebel war so dicht, daß man den Rauch der eigenen Zigarette nicht mehr sehen konnte. Langsam ließ sich der Lauzon wieder hören. Kraftlos, wie er einem den ganzen Sommer über erschienen war, stellenweise ganz unter dem groben Schotter seines Bettes verschwunden, das zum Schluß von grünem Moos überzogen war, hatte man schon nicht mehr gewußt, daß es ihn gab.
Didon sog die Luft ein, bevor er sich auf die in die Erde getretenen Stufen wagte, die direkt zum Mühlgerinne führten. Es herrschte genau das Wetter, das er sich am wenigsten gewünscht hätte. Letzte Woche, an einem ähnlichen Tag, war es ihm so vorgekommen, als habe er durch die Nebelschwaden hindurch, oberhalb des Wasserfalls, einen Mann gesehen, der sich nach- denklich über das Brückengeländer beugte. Als ob man medi- tieren könnte, wenn man Nebel einatmet, als ob man die Aussicht genießen könnte, wenn man kaum die Hand vor Augen sieht.
Bei diesem Wetter erschien ihm nichts so ganz koscher, es gab zu viele Winkel, in denen sich ein Übeltäter hätte verstecken können. Alle Heimtücke der Welt gab sich ein Stelldichein. Zumindest kam es Didon Sépulcre so vor, als er vorsichtig das Haus verließ. Und ebenso wie Célestat Dormeur ein Gewehr mitnahm, um seinen Teig zu kneten, nahm Didon es mit, um seine Wassergräben auszuschaufeln. Ein trügerischer Schutz: Was soll man schon im Nebel mit einem Gewehr anfangen? Und wie soll man es benutzen, wenn man vornübergebeugt in einem schulterhohen Graben steht? Man bückt sich, richtet sich wieder auf, und nur der Kopf reicht knapp über den Grabenrand. Wenn sich da je einer lautlos von hinten durch den Nebel heranschliche, über den weichen Schlamm, den man sein ganzes Leben lang aus diesem Graben geschaufelt hat, so wäre er in der günstigsten Position, um einen umzubringen. Das Gewehr? Stellt man es zu nah ab, könnte man es aus Versehen mit der Schaufel umstoßen, es könnte losgehen und einem eine Kugel in den Bauch jagen. Aber wie dem auch sei, es war immer noch besser, es mitzunehmen. Es gab einem ein Gefühl der Sicherheit …
Mit seiner Schaufel über der Schulter, seinem Honigeimer in der Hand und dem umgehängten Gewehr hätte Didon jeden Zuschauer zum Lachen gebracht, wenn es einen gegeben hätte. Aber bei diesem Nebel … Nur die Térésa lachte aus vollem Halse. Sie wußte eben von nichts. Hätte sie etwas gewußt, sie hätte ihm selbst das Gewehr geladen, wäre selbst mit ihm zum Wehr gegangen und hätte über ihn gewacht – den Finger am Abzug. Aber wie hätte er es ihr sagen sollen? Hätte er vielleicht sagen sollen: »Séraphin Monge hat sein Haus abgerissen … Gaspard Dupin ist tot … Was soll ich dir sagen, seitdem hab ich Angst …« Wie hätte er ihr das alles sagen können, ohne daß sie ihn gefragt hätte, warum er denn Angst habe.
Didon seufzte und stieg die Treppe zum Gerinne hinauf. Es war vierzehn Tage vor Sankt Katharina. Die Felder waren abgeerntet und umgepflügt, der Wein gelesen. Es war jedes Jahr das gleiche. Jedesmal sagte man sich: »Dieses Jahr laß ich mich nicht wieder unter Druck setzen. Die Mühle wird geputzt und vorbereitet, sobald …« Doch nie fand man Zeit für dieses »sobald«, das ganze Jahr über nicht. Von einer Mühle allein kann man nicht leben. Jedes Jahr kam auch wieder alles andere hinzu. Die Mühle war eben nur das fünfte Rad am Wagen … Und in zwei Wochen war schon wieder Sankt Katharina.
»Sankt Katharina füllt das Öl in die Oliven.« Die Fröstler, all jene, die sich für vorausschauend hielten, weil sie die Früchte ernteten, kaum daß sie reif waren, all jene, die sich vor der Arbeit bei Regen, Mistral oder Schnee fürchteten – die gemeine Gattung der Olivenpflücker eben, zu der sie hier alle gehörten –, stürzten sich auf Sankt Katharina wie auf einen Feldhasen in seiner Kuhle. Und spätestens am ersten Dezember waren sie dann schon da mit ihren vollen Säcken. Mit mißtrauischen Blicken, als hätten sie einen Schatz gefunden, warteten sie auf das Öl. Würde man sie lassen, sie würden es direkt unten aus den Preßmatten pumpen. Jeden Tropfen fingen sie in den Meßbechern auf und ließen ihn dann in die großen Korbflaschen rinnen. Und sobald diese voll waren, trugen sie sie zu zweit, hurtig, hurtig, zu den Leiterwagen oder zu den zweirädrigen Karren, während das Kind als Nachhut den Rückzug
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