Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das erstaunliche Abenteuer der Expedition Barsac

Das erstaunliche Abenteuer der Expedition Barsac

Titel: Das erstaunliche Abenteuer der Expedition Barsac Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Verne
Vom Netzwerk:
daß er vor zehn Jahren gestorben war, gefunden, wäre sie weniger überwältigt gewesen.
    Jäh durch den plötzlich einfallenden Lichtschein geweckt, hatte ein Mann sich von dem Lager erhoben, das eine Ecke dieses Kerkers einnahm. In Lumpen gekleidet, durch deren Löcher man einen mit zahllosen Wunden bedeckten Körper von skeletthafter Magerkeit erkannte, versuchte er mit Mühe aufzustehen, während er seine von Schrecken geweiteten Augen dem Licht zuwandte.
    Doch trotz der grauenhaften Wundmale, die auf lange Mißhandlung hindeuteten, trotz des abgezehrten Gesichts, trotz des ungepflegten Bart-und Haupthaars ließ sich Jane Buxton nicht täuschen. Auf der Stelle erkannte sie den erbarmungswürdigen Häftling.
    So unglaubhaft, so sehr ans Wunderbare grenzend die fabelhafte Entdeckung auch war, in der Tiefe eines elenden Kerkers von Blackland denjenigen wiederzufinden, den sie sechs Monate zuvor mit friedlicher Arbeit beschäftigt zurückgelassen hatte, mußte sie sich doch gestehen, daß dieses menschliche Wrack, dieses gemarterte Wesen Lewis Robert Buxton, ihr Bruder, war.
     

    Jäh geweckt …
     
    Keuchend, mit unnatürlich starrem Blick, von einem Anfall unwirklichen Schwindels erfaßt, stand Jane einen Augenblick bewegungslos und keines Wortes mächtig da.
    »Lewis! …« rief sie endlich aus und stürzte ihrem unglücklichen Bruder entgegen, der mit einer Miene, als sei er von Sinnen, stammelte:
    »Jane! … Du hier! … Hier! …«
    Sie sanken einander in die Arme, alle beide von krampfhaftem Schluchzen geschüttelt, und lange vermischten sich ihre Tränen, ohne daß sie auch nur ein Wort hervorbringen konnten.
    »Jane«, murmelte endlich Lewis, »wie ist es möglich, daß du mir hierher zu Hilfe gekommen bist?«
    »Ich werde es dir sagen«, antwortete Jane. »Doch sprechen wir lieber zuerst von dir. Erkläre mir …«
    »Was soll ich dir sagen?« rief Lewis mit einer Geste der Verzweiflung aus. »Ich selber verstehe das Ganze nicht. Vor fünf Monaten, am 30. November des vergangenen Jahres habe ich plötzlich in meinem Büro einen heftigen Schlag auf den Nacken erhalten, der mich zu Boden streckte. Als ich wieder zu mir kam, lag ich geknebelt, gefesselt in einer Kiste. Wie ein Gepäckstück wurde ich darauf auf zwanzig verschiedene Arten transportiert. In welchem Lande bin ich? Ich weiß es nicht. Seit mehr als vier Monaten habe ich dieses Loch hier nicht verlassen, in dem man mir Tag für Tag den Körper mit Zangen zwickt oder mich mit Peitschenschlägen traktiert …«
    »O Lewis! … Lewis!!!« stöhnte aufschluchzend Jane. »Aber wer ist denn dieser Henkersknecht? …«
    »Das ist das Schlimmste«, antwortete Lewis traurig. »Du würdest es niemals erraten. Der diese Grausamkeiten verübt, ist …«
    Jäh hielt Lewis inne. Sein ausgestreckter Arm wies auf etwas in dem Korridor hin, und seine Augen, sein ganzes Gesicht, drückten furchtbares Entsetzen aus.
    Jane blickte in die Richtung, in die ihr Bruder zeigte, sie erbleichte, und ihre Hand, die unter den Schoß ihrer Jacke geglitten war, griff nach dem Dolch, den sie in dem Grab von Koubo gefunden hatte. Mit blutunterlaufenen Augen und einem Mund, aus dem der Geifer floß und der sich zu einem raubtierhaften, wilden, grauenerregenden, abscheulichen Grinsen verzog, stand Harry Killer vor ihr.
XII.
Harry Killer
    »Harry Killer!« rief Jane.
    »Harry Killer? …« wiederholte in fragendem Ton Lewis Buxton und starrte dabei seine Schwester verwundert an.
    »Er selbst«, stieß Killer mit rauher Stimme hervor.
    Er trat einen Schritt weiter vor, blieb dann im Eingang stehen, den er mit seiner athletischen Gestalt fast vollkommen verdeckte, und lehnte sich an den Türrahmen, um sein durch das abendliche Trinkgelage stark gestörtes Gleichgewicht einigermaßen wiederherzustellen.
    »Das nennen Sie sich ergeben? …« stieß er in geballtem Zorn hervor. »Sieh da! Mademoiselle hat ein Stelldichein ohne Wissen ihres zukünftigen Gatten! …«
    »Ihres Gatten? …« wiederholte Lewis mit wachsendem Erstaunen.
    »Halten Sie mich für so gutmütig? …« setzte Harry Killer noch hinzu, während er die Zelle betrat und seine riesigen behaarten Hände Jane entgegenstreckte.
    Diese aber schwang die Waffe, die sie aus ihrem Gürtel hervorgezogen hatte.
    »Kommen Sie mir nicht zu nahe! …« rief sie aus.
    »Oh! Oh …« gab Harry Killer ironisch zurück. »Die Wespe hat einen Stachel.«
    Trotz seiner Ironie war er doch vorsichtshalber mitten in der Zelle

Weitere Kostenlose Bücher