Das erstaunliche Abenteuer der Expedition Barsac
geschehen. Diesmal ließ seine Abwesenheit von unserem Trupp sich nicht leugnen. Daraufhin gab sich denn auch Moriliré nicht erst mit zwecklosen Ausreden ab. Er erklärte, er habe zu dem vorhergehenden Lagerplatz zurückkehren müssen, weil er dort Hauptmann Marcenays Karten habe liegenlassen. Dieser letztere putzte ihn gehörig herunter, und die Sache war so weit ausgestanden.
Ich hätte gar nichts davon erwähnt, wenn nicht Saint-Bérain in seiner üblichen phantasievollen Art versucht hätte, den Vorfall aufzubauschen, indem er ihm einen anderen Sinn unterlegte.
Da er in jener Nacht an Schlaflosigkeit litt, hatte er, scheint es, die Rückkehr unseres Führers abgewartet. Wie ein großes Geheimnis hatte er sodann Hauptmann Marcenay anvertraut, Moriliré sei nicht von Westen, woher wir selber kamen, wieder eingetroffen, sondern von Osten, das heißt von Kankan her, wohin wir erst gingen, habe infolgedessen also nicht etwas Vergessenes geholt und somit gelogen.
Wäre die Quelle eine andere gewesen, hätte diese Information vielleicht eine gewisse Beachtung verdient, da sie jedoch von Saint-Bérain kam …! Saint-Bérain ist so zerstreut, daß er sehr gut die Himmelsrichtungen verwechselt haben könnte.
Doch kehren wir zu unserem Thema zurück! Ich sagte schon, daß Kankan der Schauplatz des anderen Vorfalls war. Während wir, Mademoiselle Mornas, Monsieur Barsac, Saint-Bérain und ich, von Tchoumouki und Moriliré begleitet, uns dorthinbegaben …
Aber ich sehe, daß ich vergessen habe, meine Laterne anzuzünden und daß ich besser daran tue, etwas weiter auszuholen.
Man muß also wissen, daß in den letzten Tagen Moriliré uns allen nacheinander damit lästig gefallen war, indem er uns die Verdienste eines gewissen ›Griot‹ oder, genauer gesagt, eines ›Kéniélala‹ (Wahrsager) rühmte, der in Kankan seinen Wohnsitz habe. Seinen Worten zufolge verfügte dieser ›Kéniélala‹ über ein erstaunliches ›zweites Gesicht‹. Immer wieder drängte uns Moriliré, uns persönlich davon zu überzeugen. Ich brauche nicht erst zu sagen, daß wir unabhängig voneinander ihn einmütig abgewimmelt hatten. Wir sind schließlich nicht bis in das Herz Afrikas vorgedrungen, um mehr oder weniger begabte Hellseher zu konsultieren.
Doch als wir unter der Führung von Moriliré und Tchoumouki einen Spaziergang durch Kankan unternehmen, bleiben die beiden etwa zwei Schritte vor einer Hütte stehen, der nichts Besonderes anzusehen ist. Durch einen Zufall, dem sie, wie ich stark vermute, etwas nachgeholfen haben, erweist sich diese ausgerechnet als die Behausung des berühmten ›Kéniélala‹, den sie so sehr angepriesen hatten. Von neuem aber weigern wir uns. Sie geben sich jedoch nicht geschlagen, sondern singen unbekümmert wieder und wieder das Lob des verehrungswürdigen Magiers.
Was kann es eigentlich Moriliré oder seinem Kameraden Tchoumouki ausmachen, ob wir ihren ›Kéniélala‹ aufsuchen oder nicht? Oder sollten die Sitten des Landes bereits derart zivilisiert sein, daß die beiden Burschen von der Einnahme ihres Wundermannes eine ›Provision‹ bekämen und beauftragt wären, ihm Kunden zuzuführen, wie es die Gondolieri in Venedig zugunsten der Glas-und Spitzenhersteller tun? Dann freilich hätte Monsieur Barsac recht!
Die beiden Spießgesellen lassen sich jedenfalls durch nichts entmutigen. Sie drängen uns, sie drängen uns derart, daß wir nachgeben, und wäre es auch nur, um endlich Ruhe zu haben. Schließlich können wir ihnen ja das Vergnügen machen, und wenn es ihnen ein paar ›Kauri‹ einbringt, um so besser für sie.
Wir treten in eine Hütte, die im Innern unsagbar schmutzig ist und in die nur gedämpfte Helligkeit dringt. Der ›Kéniélala‹ steht mitten im Raum. Nachdem er sich fünf Minuten lang auf den Schenkel geklopft und dabei zu uns Ini-tili gesagt hat, was ›gute Mittagsstunde‹ bedeutet – tatsächlich entspricht das genau der Tageszeit –, hockt er sich auf eine Matte und fordert uns auf, desgleichen zu tun.
Zunächst schichtet er vor sich einen Haufen aus sehr feinem Sand auf, den er jäh mit Hilfe eines kleinen Besens fächerförmig auseinanderkehrt. Darauf läßt er sich von uns ein Dutzend – sechs rote und sechs weiße – Kolanüsse reichen, die er rasch über den Sand rollen läßt, während er unverständliche Worte murmelt. Darauf ordnet er die Früchte auf dem Sand zu verschiedenen Figuren – Kreisen, Quadraten, Rauten, Rechtecken, Dreiecken usw. – an und
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