Das erste der sieben Siegel
einen Punkt auf dem Tisch, ungefähr einen halben Meter links von dem Foto. »Hier irgendwo. Wir mussten mit Schneemobilen rüberfahren. Das hat lange gedauert.«
Er fixierte die Punkte noch ein Weilchen länger und vergewisserte sich, dass sie tatsächlich Streifen bildeten. Dann schob er die Bücher von den Fotos, sodass diese sich aufrollten. Schließlich steckte er sie zurück in die Röhre. Er überlegte, ob er noch einmal zu Panoptikon fahren sollte, um möglicherweise Fotos vom Ankerplatz des Schiffes zu bekommen. »Hatte der Hafen einen Namen?«, fragte er.
Annie schüttelte den Kopf. »Das war kein richtiger Hafen. Und einen Namen hatte die Stelle ganz bestimmt nicht. Wir haben einfach irgendwo geankert.«
Damit war diese Idee wohl vom Tisch, dachte er insgeheim erleichtert. Seine Visacard war hoffnungslos überzogen, und er hatte ernste Zweifel, ob die Stiftung Verständnis dafür zeigen würde, dass er bereits soviel Geld ausgegeben hatte – geschweige denn, dass sie bereit wäre, einen zweiten Versuch zu finanzieren.
Annie brachte ihn zur Tür, gähnte erneut und sagte entschuldigend: »Ich bin seit sechs Uhr auf.«
»Da gibt es ein gutes Gegenmittel, wissen Sie.« Plötzlich hatte er das Verlangen, sie zu küssen. Aber als er sich zu ihr vorbeugte, fuhr sie zurück, redete wie ein Wasserfall und beteuerte, wie froh sie sei, dass er nun alles wisse, was sie wisse, dass es endlich nicht mehr diese Mauer des Schweigens zwischen ihnen gebe, und er solle sie doch bitte anrufen und über alles auf dem Laufenden halten, was er herausfinde. Dann zerrte sie ihn zur Tür und schob ihn mehr oder weniger mit sanfter Gewalt nach draußen. Er kam sich vor wie damals auf der High School.
Der Typ mit dem komischen Namen war Thomas R. Deer, und das Komische daran war, dass das R. für ›Running‹ stand. Er war ein breitschultriger Sioux aus Montana und Experte für chemische und biologische Waffen. Sein Büro lag im sechsten Stock des National Security Studies Institute, gleich gegenüber der U-Bahn-Haltestelle Bethesda.
Frank nannte der Dame am Empfang seinen Namen, nahm in dem elegant eingerichteten Vorzimmer Platz und verkürzte sich die Wartezeit damit, im Economist zu blättern.
Er hatte Deer auf einer Konferenz zum Thema ›Urbaner Schutz vor Bioterrorismus: Krisenmanagement und Konsequenzen‹ kennen gelernt, die vom Army War College gesponsert worden war. Die meiste Zeit war für Reden draufgegangen, die muskelbepackte Trottel vom Pentagon und seriöse Wissenschaftler von privaten Forschungsinstituten hielten. Es gab Vorträge von Vertretern des Weißen Hauses, der Ministerien für Agrarwirtschaft, Justiz und Verteidigung wie auch von Repräsentanten der Rüstungsindustrie. Eine Frau aus dem FBI-Labor steuerte ihr Scherflein ebenso bei wie jemand von der Organisation der Notfallärzte. Frank jedoch interessierte sich vor allem für diejenigen, die weit weniger wortgewandt und weitaus stärker gefährdet waren. Es waren die Vertreter derjenigen, die als erste reagieren mussten – beispielsweise der Chef der Feuerwehr von Arlington, die Krankenschwester aus Fairfax, der besorgt dreinblickende Mann vom New Yorker Amt für Katastrophenschutz.
Sie waren es, die ihren Kopf würden hinhalten müssen, und sie waren alles andere als optimistisch. Die ersten, die bei einem chemischen Angriff Hilfe leisten mussten, würden ihm aller Wahrscheinlichkeit nach selbst zum Opfer fallen. Und was konnten sie schon tun? Es gab nur eine begrenzte Anzahl von Rettungswagen und Krankenhausbetten, nur begrenzt Platz im Leichenschauhaus. Sobald ein Rettungswagen im Einsatz gewesen war, musste er dekontaminiert werden – was bedeutete, dass er nicht mehr zur Verfügung stand. Das gleiche galt für die Räume der Notaufnahmen und für das Personal, das darin arbeitete: Wie effizient würden die Leute wohl arbeiten können, wenn sie Schutzanzüge trugen? Die traurige Wahrheit war: Ein Gasangriff auf ein einziges New Yorker Hochhaus würde innerhalb einer Stunde das gesamte Gesundheitssystem der Stadt lahm legen.
Und ein biologischer Angriff wäre noch schlimmer, weil die Katastrophe erst nach Tagen offensichtlich würde, wenn die Notaufnahmen der Opfer nicht mehr Herr würden – bis es zu spät wäre und man nur noch die Toten begraben konnte. Oder sie verbrennen. Und je nachdem, welches Bakterium verwendet wurde, wäre zu diesem Zeitpunkt auch das Krankenhauspersonal schon längst tödlich erkrankt.
Es war eine von den
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