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Das erste der sieben Siegel

Titel: Das erste der sieben Siegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Case John F.
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schmiedeten Pläne, was sie tun würden, wenn Sigrid wieder gesund war. Aber … sie wurde nicht wieder gesund.
    Der Alte Herr kam während der Totenwache. Ich hatte beruflich zu tun, nuschelte er, und sein Atem stank nach Pfefferminz. Frank stürzte sich auf ihn, aber Onkel Sid ging dazwischen. Niemals darfst du die Hand gegen deinen Vater erheben, sagte er.
    Im Herbst jenes Jahres hörte Frank auf, Football zu spielen. Er machte kein großes Aufheben darum: Er ging einfach nicht mehr zum Training. Damals priesen die Lokalzeitungen die Mannschaft von Kerwick als ›das beste Team aller Zeiten‹, und pro Woche riefen mindestens zwei College-Trainer an. Frank erklärte ihnen höflich, dass er nicht mehr Football spiele.
    Was ist los, Junge? Bist du verletzt?
    Nein, alles in Ordnung.
    Dann … versteh ich das nicht.
    Ich spiele einfach nicht mehr. Ich bin irgendwie … mit anderen Dingen beschäftigt.
    Was für ›andere Dinge‹?
    Ich lese. Arbeite im Supermarkt.
    Das soll doch wohl ein Witz sein, oder?
    Nein.
    Dann brauchst du ganz sicher eine Therapie – je eher, desto besser. Such dir professionelle Hilfe.
    Sein Schultrainer kam vorbei – mehrmals –, aber schließlich gab er auf. Er musste sich um seine Mannschaft kümmern, und mittlerweile hatte Kerwick schon drei Spiele gewonnen. Irgendwann dämmerte es dann allen, dass die Kerwick High School Frank nicht unbedingt brauchte. Sie hatten, auch ohne ihn, ein Klasseteam.
    Aber darauf kam es nicht an. Es kam natürlich darauf an, seinem Vater das Herz zu brechen, ihn dafür zu bestrafen, dass er sein eigenes Leben vor so vielen Jahren einfach weggeworfen hatte, und dafür, dass er seine Frau im Wartesaal ihrer Ehe sitzen gelassen hatte.
    Football war das Beste gewesen, das der Alte Herr in seinem Leben gehabt hatte, die Quelle aller Hoffnungen und Erwartungen. Wenn er seinen Sohn spielen sah, war das wie eine Wiedererweckung. Und zu sehen, dass er aufgab, war eine zweite Beerdigung.
    Sie sprachen nie richtig darüber, obwohl Frank sah, dass sein Vater es liebend gern getan hätte. Aber nach dem Tode seiner Mutter sprachen sie eigentlich überhaupt nicht mehr miteinander – bis auf Belanglosigkeiten: Weißt du, wo die Schneeschaufel ist? Brauchst du den Wagen? Ich fahr für ein paar Tage weg.
    Als er im letzten Schuljahr war, hatte Frank schon längst beschlossen, Kerwick zu verlassen. Eine Ironie des Schicksals wollte es, dass sich ihm die Möglichkeit dazu bot, weil er ein Stipendium gewann, das nur Schülern gewährt wurde, deren Eltern Mitglied in der Gewerkschaft waren, der sein Vater angehörte.
    Die University of California in Berkeley lag so weit entfernt, wie es überhaupt möglich war, um ohne Schiff von zu Hause wegzukommen. Er verlebte dort friedliche vier Jahre, studierte Geisteswissenschaften und belegte etliche Seminare über Kreatives Schreiben. Außerdem entdeckte er dort seine Liebe zur Biologie, sodass er eine Zeit lang ernsthaft überlegte, im Anschluss noch Medizin zu studieren. Aber da er nun mal so dicht an der Armutsgrenze aufgewachsen war, schreckte er vor den gewaltigen Schulden zurück, die ein Medizinstudium mit sich gebracht hätte. Als er ‘89 sein Examen machte, kehrte er zurück an die Ostküste, um sich dort Arbeit zu suchen.
    Und er fand sie in New York City als Redakteur bei der Alliance, einer russisch-englischen Zeitung, die im russischen Viertel in Brighton Beach erschien. Schon bald veröffentlichte er Artikel über dieses ›Klein-Odessa‹ in der Village Voice und im Boston Globe Magazine. 1992 hatte er bereits Preise für kritischen und investigativen Journalismus gewonnen. Letzteres für eine Serie über Benzinschmuggel, der von aus Russland emigrierten Gangstern kontrolliert wurde. An diesem Punkt seiner Karriere bewarb er sich dann erfolgreich um eine Anstellung bei der Washington Post. Seine Arbeit in der Abteilung für Lokales, bei der er über Polizeiaktionen und Gerichtsverhandlungen berichtete, brachte ihm schon bald eine Beförderung in die exotischere Abteilung ›Nationale Sicherheit‹ ein. Auch da hatte er sich gut geschlagen, aber als er noch dabei war, sich ein gutes Netzwerk von Informanten aufzubauen, wurde er erneut versetzt. Diesmal sollte er über den Präsidentschaftswahlkampf berichten. Auch das war im Grunde eine Beförderung, aber keine, mit der er glücklich war. Die Arbeit als politischer Berichterstatter beschränkte sich auf die Beschäftigung mit Postenrangeleien und Mauscheleien, mit

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