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Das erste der sieben Siegel

Titel: Das erste der sieben Siegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Case John F.
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früh weitermachte, konnte er es vielleicht bis morgen Nachmittag schaffen.
    Er löschte die Nachricht und spielte die nächste ab.
    Onkel Sid lebte in einer völlig anderen Welt als Fletcher Harrison Coe, und er hielt sich auch an andere gesellschaftliche Regeln. Das bedeutete unter anderem, dass er sich nicht vorstellte. Musste er auch nicht. Eine Nachricht auf den Anrufbeantworter zu sprechen schien bei Onkel Sid den Wunsch auszulösen, alles Wichtige lautstark runterzurattern, ohne zwischendurch auch einmal Luft zu holen:
    »Frankie? Bist du da? Wo bist du? Hör mal! Ich weiß Bescheid über diesen Mist mit deinem Vater, und du hast allen Grund, stinksauer zu sein, das versteh ich ja, aber ich hab einfach gedacht, du solltest wissen – er ist ein zäher alter Brocken, aber das ist jetzt schon sein zweiter Herzinfarkt, verflucht noch mal, und es sieht nicht gut aus, Frankie, der Herzmuskel ist schwer geschädigt, und ich weiß nicht, ob er das übersteht. Wenn er rauskriegt, dass ich dich angerufen habe, scheißt er mich zusammen, aber ich hab mir gedacht, dass du vielleicht doch für ihn dasein willst, verstehst du? Es sind mittlerweile zehn Jahre, verflucht noch mal. Willst du denn wirklich bis ins nächste Jahrhundert stur bleiben? Na, jedenfalls liegt er auf Intensiv, im Krankenhaus St. Mary’s.« (Pause, Papier raschelte, eine Faust krachte auf eine harte Oberfläche.) »Verdammt, ich find die blöde Nummer jetzt nicht, aber die kriegst du bei der Auskunft. St. Mary’s!«
    Und dann kam ein Piepton, und er war weg.
    Das hat mir gerade noch gefehlt. Ausgerechnet jetzt … Ärger stieg in ihm auf, und einen Moment lang genoss er ihn richtig. Dann schämte er sich. Das nenne ich egozentrisch. Ich bin ja schon genauso schlimm wie der Alte Herr.
    Er holte sich ein Bier aus der Küche und setzte sich damit im Wohnzimmer vor den Computer. Er schaltete ihn an, und während das Windows-Programm hochfuhr, nippte er an seinem Bier.
    Er dachte nicht oft an seine Familie. Eigentlich dachte er überhaupt nicht an sie. Sie alle waren Teil seiner Kindheit, und seine Kindheit war schon lange vorbei.
    Eine einsame Klaviernote gefolgt von einem Harfenakkord verkündete ihm, dass der Computer arbeitsbereit war. Er ging ins Textverarbeitungsprogramm und lud seine Notizen zu Sin Nombre.
    Was hatte Sid gesagt? »Dass du vielleicht doch für ihn dasein willst«! Toll, dachte Frank. Als ob er je für uns dagewesen wäre.
    ›Uns‹, das waren er und seine Mutter, Sigrid, geborene Leverkuhn, ehemals Schönheitskönigin und die große High-School-Liebe des besten Footballspielers, den Kerwick High je gehabt hatte. (Ta-daa!)
    Frank ging seine Notizen durch und suchte nach einem Zitat von einem der Indianer, mit denen er im Taos Pueblo gesprochen hatte.
    Die Ehe war ein riesiger Fehlschlag gewesen. Entstanden war sie im jugendlichen Überschwang, doch ebenso wie die besten Jahre des Alten Herrn war auch die Ehe zusehends verblasst. Als Big Frank nach zwei ›Saisons‹ an der Penn State University und doppelt so vielen Knieoperationen nach Kerwick zurückkehrte, sah er aus wie einer, der den Krieg verloren hat, und er fühlte sich auch so.
    Seine Braut kam mit ihm.
    Und dann wurde Frankie geboren, und das war’s dann. Die Zukunft war Vergangenheit – so schien es zumindest –, und alle Träume des Alten Herrn waren nur noch Schall und Rauch. Er gab auf, dachte Frank. Er bekam es einfach mit der Angst und gab auf. Himmel, dabei war er gerade erst zwanzig.
    Und er war so gut wie nie da. Wenn er nicht im Elektrizitätswerk arbeitete, wo er einen Job als Installateur hatte, hing er mit seinen Kumpels in ›Ryan’s Bar & Grill‹ rum – oder stieg den Kellnerinnen nach.
    Was unter anderem bedeutete, dass Frank von seiner Mutter großgezogen wurde. Sie wohnten in einem heruntergekommenen Haus in einem Arbeiterviertel. Vor jedem Haus an ihrer Straße war ein zimmergroßes Rasenstück (oder häufiger noch ein Rechteck aus festgetretenem Dreck) – außer vor dem Haus der Dalys und von ein paar anderen, die richtige Gärten hatten. Der Garten war Sigrids ganzer Stolz, und als kleiner Junge half Frank ihr gerne bei der Arbeit darin.
    Obwohl er nicht gerade viel Zeit dafür hatte. Schon als er noch klein war, arbeitete Frank – schaufelte Schnee, mähte Rasen, machte Besorgungen. Und dann, als er alt genug war, arbeitete er an den Wochenenden bei Safeway. Von morgens neun bis abends neun packte er die Einkäufe der Kunden in Tüten

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