Das erste der sieben Siegel
und füllte Regale auf. In den Sommerferien arbeitete er vierzig Stunden die Woche im Elektrizitätswerk, heizte die Dampfkessel. Jeden Freitag überreichte er seiner Mutter seinen Gehaltsscheck, und selbst der Alte Herr musste zugeben, dass Frankie sich so ziemlich selbst finanzierte.
Und das tat er, obwohl gesagt werden muss, dass er mit recht guten Anlagen ausgestattet war. Von seiner Mutter hatte er die Liebe zu Büchern und ein fast fotografisches Gedächtnis geerbt, eine Kombination, die ihn zu einem hervorragenden Schüler machte. Seine Tanten sagten gern, er sei Sigrid ›wie aus dem Gesicht geschnitten‹, aber das war Wunschdenken. Sie hatte ihm ihre meergrünen Augen und hohen schrägen Wangenknochen mitgegeben, doch im Grunde war es sein Lächeln, das die Menschen an sie erinnerte. Dieses leicht scheue Anheben der Wangen hatte etwas Verschmitztes an sich, das in seinen Augen aufblitzte und allen, die es sahen, eine gleichsam verschwörerische Zuneigung abverlangte.
Alles Übrige hatte er von seinem Vater. Er war sehnig und knochig, und das dunkelbraune Haar fiel ihm in die Stirn. Mit seinen einsfünfundachtzig wog er gerade mal zweiundsiebzig Kilo – ein langer Lulatsch, dessen rechter Arm von den Lokalzeitungen mit einer Schrotflinte verglichen wurde.
Als einziger von den Neulingen an der High School wurde er gleich im Footballteam aufgenommen und war schon im zweiten Jahr Quarterback. Seine Ergebnisse waren beeindruckend und wurden von Spiel zu Spiel immer besser. Es dauerte nicht lange, und der Alte Herr tauchte mit seinen Kumpels bei Heim- und Auswärtsspielen als Zuschauer auf. Sie ließen die Flaschen kreisen und grölten die Schulhymne. Der Stolz seines Vaters war offensichtlich – vor allem, als sein Sohn einen Fünfundsechzig-Meter-Pass warf, der nicht nur das Spiel entschied, sondern auch den High-School-Rekord für Pennsylvania brach. Alle Welt wusste, dass Frank eine goldene Zukunft als College-Footballer erwartete – als er plötzlich aufhörte zu spielen.
Frank lehnte sich im Sessel zurück und starrte auf den Bildschirm. Es war Abend, und er hatte noch kein Wort geschrieben. Autoscheinwerfer glitten an der Wand hoch, breiteten sich fächerartig über die Decke aus, rasten an der gegenüberliegenden Wand wieder nach unten und verschwanden im Teppich.
Dass ich mit Football aufgehört habe, dachte er, war wirklich bescheuert.
Es tat ihm nicht etwa leid. Schließlich brach es dem Alten Herrn das Herz – und darum war es ihm ja gegangen.
Es geschah gegen Ende seines zweiten Jahres auf der High School: Seine Mutter erkrankte an einer Infektion der Atemwege, die sich zu einer Lungenentzündung auswuchs. Als Frank aus der Schule nach Hause kam, war sie zusammengebrochen und lag auf dem Küchenboden. Er war erst fünfzehn, aber er trug sie zum Wagen, und nachdem er die Autoschlüssel gefunden hatte, raste er bei dichtem Verkehr zur Notaufnahme – wo ihn die Krankenschwester wieder nach Hause schickte, um die Krankenversicherungsunterlagen zu holen, die sie brauchte.
Und er tat es. Als er mit den Versicherungsscheinen wieder im Krankenhaus eingetroffen war, schickten sie ihn noch einmal nach Hause, um Zahnbürste, Nachthemd und Morgenrock für seine Mutter zu holen. Nachdem er auch das erledigt hatte, rief er bei ›Ryan’s Bar & Grill‹ an und fragte nach seinem Vater. Er erklärte dem Barkeeper, dass es ein echter Notfall sei und es um Leben und Tod ginge, damit der den Alten Herrn nicht verleugnete, wie schon so oft.
Tut mir leid, Frankie, ich hab ihn seit Tagen nicht gesehen. Aber ich hör mich mal um. Sag deiner Mutter, sie soll sich nicht unterkriegen lassen.
Er verbrachte die Nacht auf einem unbequemen Stuhl im grell erleuchteten Wartezimmer der Notaufnahme. Über ihm flimmerte ein Fernseher mit miesem Empfang, aus dem schlechte Witze und hektische Musik krächzten. Seine Mutter lag auf der Intensivstation, und die Ärzte blickten besorgt drein. Sie ist sehr krank, Junge. Gibt es irgendeine Möglichkeit, deinen Vater zu erreichen?
Die ganze Zeit über dachte Frank, dass sie wieder gesund werden würde, weil ja schließlich kein Mensch mehr an Lungenentzündung starb. Oder doch? Nein. Natürlich nicht. Bis auf diejenigen, die es doch taten.
Er blieb drei Tage lang bei seiner Mutter, hielt ihre Hand, wartete darauf, dass seine Tanten kamen. Und als sie kamen, war es fast noch schlimmer. Sie regten sich nur ständig darüber auf, dass sein Vater nicht da war, und
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