Das erste Gesetz der Magie - 1
war zu nahe gekommen; nahe genug, daß Richard seine wilden, gelben Augen erkennen konnte, wenn auch nur für einen winzigen Augenblick. Seit dem zweiten Tag nach Agaden wurden sie verfolgt. Die Jahre allein im Wald hatten ihn aufmerksam dafür gemacht, ob er verfolgt oder ob ihm nachspioniert wurde. Dieses Spiel hatten er und die anderen Waldführer gelegentlich in den Wäldern Kernlands gespielt, um herauszufinden, wie weit sie sich gegenseitig folgen konnten, ohne entdeckt zu werden. Was immer ihnen jetzt folgte, es beherrschte das Spiel gut. Aber nicht so gut wie Richard. Dreimal hatte er bislang die gelben Augen gesehen, die sonst wohl kaum einer entdeckt hätte.
Samuel konnte es nicht sein. Das Gelb war anders, dunkler, die Augen standen dichter beieinander, und es war gerissener. Ein Herzhund konnte es ebenfalls nicht sein, der hätte längst angegriffen. Was immer es war, es beobachtete sie nur.
Richard war sicher, Kahlan hatte es nicht gesehen. Sie war zu tief in ihren eigenen trüben Gedanken versunken. Früher oder später würde sich das Wesen zu erkennen geben. Richard war vorbereitet. Aber im Augenblick hatte er mit Kahlan alle Hände voll zu tun, noch mehr Ärger konnte er nicht gebrauchen. Er drehte sich also nicht um, zeigte nicht, daß er Verdacht geschöpft hatte, ging nicht im Kreis, wie er und die anderen Waldführer das Manöver genannt hatten, sondern behielt die Augen im Blick, wann immer sie sich zeigten, ohne einen direkten Kontakt zu erzwingen. Er war ziemlich sicher, ihr Verfolger ahnte nicht, daß er Bescheid wußte. Im Augenblick wollte er es auch dabei belassen.
Kahlan ging mit hängenden Schultern voran, und er überlegte, was er in ein paar Tagen tun sollte, wenn sie Tamarang erreicht hatten. Ob es ihm gefiel oder nicht, sie war drauf und dran, diesen zähen Kampf zu gewinnen, ganz einfach deshalb, weil es so nicht weitergehen konnte. Sie konnte immer wieder scheitern, brauchte nur ein einziges Mal Erfolg zu haben. Er dagegen mußte jedesmal gewinnen. Ein winziger Fehler, und sie konnte sich das Leben nehmen. Er hatte keine Chance. Er würde verlieren. Was konnte er dagegen machen?
Rachel saß auf dem kleinen Hocker vor dem hohen, mit Samt bezogenen, mit Knöpfen und vergoldeten Schnitzereien verzierten Sessel, wartete und schlug die Knie zusammen. Beeil dich, Giller, sagte sie sich immer wieder, beeil dich, bevor die Prinzessin kommt. Sie hob den Kopf und betrachtete das Kästchen der Königin. Hoffentlich ließ Prinzessin Violet diesmal die Finger von dem Kästchen, wenn sie kam, um den Schmuck anzuprobieren. Rachel konnte es nicht ausstehen, wenn sie das tat, es machte ihr angst.
Die Tür öffnete sich einen Spaltweit. Giller schob seinen Kopf herein. »Beeil dich, Giller«, zischte sie.
Er trat ganz durch die Tür. Dann steckte er den Kopf wieder nach draußen, blickte den Flur entlang nach beiden Seiten und schloß die Tür. Er sah sie an.
»Hast du das Brot?«
Sie nickte. »Hier ist es.« Sie zog das Bündel unter ihrem Stuhl hervor und legte es auf den Schemel. »Ich hab’ das Brot in ein Handtuch gewikkelt, damit es niemand sieht.«
»Gutes Mädchen.« Er lächelte, drehte sich um und kehrte ihr den Rükken zu.
Sie strahlte ihn an, dann machte sie ein besorgtes Gesicht. »Ich mußte es stehlen. Ich habe noch nie etwas gestohlen.«
»Ich versichere dir, Rachel, es ist für einen guten Zweck.« Er betrachtete das Kästchen.
»Giller, Prinzessin Violet kommt hierher.«
Er machte große Augen und drehte sich um. »Wann?«
»Nach der Anprobe für ihr neues Kleid, hat sie gesagt. Sie ist ziemlich kleinlich, es kann also ein Weilchen dauern, vielleicht aber auch nicht. Sie probiert gerne Schmuck an und betrachtet sich dann im Spiegel.«
»Verflucht seien die Seelen«, zischte Giller, »nichts ist jemals einfach.« Er machte kehrt und nahm das Kästchen der Königin von seinem Marmorpodest.
»Giller! Das darfst du nicht anfassen! Das gehört der Königin!«
Er wirkte ein bißchen böse, als er sie ansah. »Nein! Tut es nicht. Warte nur, ich werde es dir erklären.«
Er stellte das Kästchen auf den Schemel neben das Brot. Dann griff er unter seinen Umhang und holte ein weiteres Kästchen hervor. »Wie gefällt es dir?« Er hielt ihr das Kästchen mit einem schiefen Lächeln hin.
»Es sieht ganz genauso aus!«
»Gut.« Er stellte es auf das Podest, wo das echte gestanden hatte, dann setzte er sich neben sie und den Schemel auf den Boden.
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