Das Erste Horn: Das Geheimnis von Askir 1 (German Edition)
sehe euch, aber ich kenne euch nicht«, sagte schließlich die Stimme, die nicht meine war. »Vor euch stehen die besten Soldaten, die das Reich je gesehen hat, ein jeder von uns bietet euch seine Dienste an. In Treue ewig fest, schworen wir uns, dass wir nicht ruhen würden, bevor der Verräter gefasst und verurteilt ist. Ein jeder von uns ist bereit, an eurer Seite zu gehen, eure Hand zu lenken, euer Leben zu schützen. Wer von den Lebenden ist bereit, das Geleit der Toten anzunehmen?«
»Ich bin es.«
Sogar der Sergeant schien überrascht. Durch seine Augen sah ich die schlanke Gestalt herantreten, ausgerüstet wie ein jeder von uns … Sieglinde. Sie war uns gefolgt!
Bevor ich etwas dazu sagen konnte, ertönte die Stimme Serafines. »Ich werde sie führen, Sergeant. Es wird sein wie in alten Zeiten, sie hat Mumm.«
»Ich«, rief Varosch.
»Der gehört mir«, gab Mikail zur Antwort. »Treu und beständig, wir werden gut miteinander auskommen.«
»Ich«, rief Janos.
»Meiner …«, riefen Lipko und Halmachi gleichzeitig. Die beiden blau Gepanzerten sahen sich an und lachten.
»Er hat meinen Verstand.«
»Damit wäre er gestraft, hätte er nicht auch meine Verschlagenheit und meinen Witz.« Halmachi lachte. Lipko machte eine Verbeugung. »Zu mir«, sagte Halmachi, und ich spürte, wie ich nickte.
Nacheinander entschieden sich die Lebenden für die Toten, ein jeder des Ersten Horns fand einen, den er geleiten konnte.
»Mikail, guter Freund, übernimm ein letztes Mal.«
Mikails schimmernder Kopf neigte sich. »Zu Befehl, Sergeant … Erstes Horn: Achtung! Wohin gehen wir?«
»Zu den Göttern, mit Askir, dem Kaiser, unserer Ehre und der Pflicht!« Es waren nicht nur die Stimmen der Toten, die nun erklangen, ich hörte andere Stimmen und spürte, wie sich auch meine Lippen bewegten.
»Wann gehen wir?«
»Nicht bevor die Pflicht uns lässt …«
»Nicht bevor die Pflicht uns lässt«, wiederholte der Sergeant leise. Er griff durch die Achselhöhle seines Panzers und holte ein Buch heraus. Er schlug es auf, ich sah die Namen durch seine Augen. Er fuhr mit meiner Hand über die Seiten und schloss das Buch langsam. »Wir haben unsere Pflicht erfüllt. Mikail, unsere Wachablösung ist erschienen. Lasst sie wegtreten.«
»Jawohl, Sergeant.« Mikail schlug mit der rechten Hand auf seine linke Brust. »Es war eine Ehre, mit dir gedient zu haben, Sergeant. Erstes Horn! Ihr habt den Sergeant gehört, es ist getan … wegtreten!«
Eine jede der Gestalten aus blauem Licht und kaltem Stahl schlug ihre Faust auf die Brust, der letzte Salut. Es hallte weiter, als die Größe des Raums erlaubte. Jeder nahm sodann den Helm ab und blickte nach oben. Ein Lächeln erschien auf jedem fremden und doch so vertrauten Antlitz, als das blaue Leuchten aus Eiswehrs Spitze nachließ, versiegte, erlosch … und uns hier zurückließ.
In diesem kalten Raum, in dem die Toten nun nicht mehr warteten, sondern ihre Ruhe gefunden hatten.
Ich bemerkte, dass ich auf dem Boden kniete und weinte. Ich konnte spüren, wie er ging, der Sergeant.
Jemand stand neben mir. Ich sah, wie sich eine schlanke behandschuhte Hand um Eiswehrs Heft schloss. »Es gehört mir«, sagte Sieglinde. War sie es wirklich? Ja, aber es schwang etwas in ihrer Stimme mit, eine Entschlossenheit und eine Ruhe, die ihr bis eben fremd gewesen waren.
»Es hat lange genug auf mich gewartet.« Sie zog ihren Handschuh aus und führte die Klinge durch ihren Handballen, ihr Blut wallte auf und wurde von dem fahlen Stahl gierig aufgenommen. Dann führte sie Eiswehr zurück in die Scheide, um mir ihre Hand zu reichen. Ich ergriff sie.
»Alles in Ordnung, Sergeant … Havald?«
Ich nickte und richtete mich auf, wischte mir das salzige Eis aus dem Gesicht. Sie sahen mich alle an, Erstaunen, Angst und Ehrfurcht in ihren Blicken.
»Wisst ihr, welche Ehre uns erwiesen wurde?«, fragte ich leise, als ich wieder sprechen konnte.
Einzelne sahen mich nur fassungslos an, andere nickten. Ich blinzelte. Sie hatten sich in einer Linie aufgestellt, standen still und ruhig. Nacheinander sah ich ihnen in die Augen. Sie hatten sich nicht verändert, ich sah nicht das Antlitz der Soldaten des Ersten Horns, aber in ihren Augen erblickte ich das, was ich in diesen anderen Augen schon gesehen hatte: ruhige Entschlossenheit.
Ich schaute zu Zokora hinüber. Sie allein hatte keinen geisterhaften Partner gewählt. Sie legte den Kopf auf die Seite. »Ich fürchte, diese Rüstungen werden euch
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