Das Erste Horn: Das Geheimnis von Askir 1 (German Edition)
Tag sein müsste, früher Morgen, aber hier herrschte finsterste Nacht. Der Gastraum war deutlich abgekühlt. Drei Wanderer hatten sich ein Lager vor dem Kamin bereitet, unter ihren Decken rührte sich nichts. Die unbekannte Gestalt in der Ecke hatte sich dort zusammengekauert, fern von den anderen und sicherlich nicht am wärmsten Ort für die Nachtruhe. Meine Knochen schmerzten allein bei dem Anblick. Eine schlanke, schwarz behandschuhte Hand umschloss das Heft des Langschwertes, das neben ihr auf dem Boden lag. Ein vorsichtiger Mensch, selbst im Schlaf.
Der Geruch von altem Bier und Schweiß sowie Rauch und nasser Wolle lag in der Luft, ich verspürte den Impuls, die Tür aufzureißen und frische Luft hineinzulassen, wusste aber, dass ich nur eine weiße Wand sehen würde. Erfroren waren schon viele, erstunken wohl kaum einer.
Dennoch, angenehm war der Geruch wahrlich nicht.
»Folgt mir, Herrschaften.« Eberhard sah meinen Gesichtsausdruck. »Ich will es nicht beschönigen, es ist besser, wenn Ihr vorher nichts esst …«
»So schlimm?«, meinte Leandra.
Der Wirt eilte voraus und öffnete eine der Türen, die das Haupthaus mit den Nebengebäuden verbanden. »Ja. Ich bin nicht so weit herumgekommen wie die hohen Herrschaften, aber auch meine Augen haben schon einiges gesehen. Doch dies ist wahrlich kein schöner Anblick.«
Die Tür führte in die Schmiede, das zweitgrößte Gebäude des Hofs. Hier gab es Licht, denn hoch oben war das Dach überlappend angeordnet. War die Schmiede in Betrieb, konnte so die Luft leichter abziehen, nicht nur durch den mächtigen Schornstein. Durch das offene Dach heulte der Sturm unvermindert; zusammen mit den Schneeflocken, die alles unter einer dünnen weißen Schicht begraben hatten, fiel fahles graues Licht herein, das erste natürliche Licht, das ich seit Stunden gesehen hatte. Der Schnee ließ den Raum hell erscheinen, es war eisig, aber nicht so kalt wie außerhalb der Mauern. Die Luft war sauber und roch frisch, und ich wollte einfach nur verweilen, um tief durchzuatmen. Eine dünne Spur verlief quer durch die Schmiede zu einer anderen Tür. Wie ich wusste, führte sie zu einem Lager, und von diesem wiederum konnte man in die Stallungen gelangen.
Der Wirt war dabei, weiterzueilen, als ich ihn festhielt. »Wartet kurz.« Ich musterte die Spur im Schnee. Es brauchte keinen Fährtenleser, um zu erkennen, dass es in der Tat die des Wirts war. Keine andere Spur war zu sehen; wenn hier jemand entlanggegangen war, dann war dies geschehen, bevor die Schneeschicht alles bedeckt hatte.
Ich ließ den Wirt los, und er drängte weiter. Es ging nun durch das Lager. Hier blieb mir nicht viel mehr in Erinnerung als große gestapelte Fässer, Kisten und Ballen. Wir folgten dem schmalen Pfad zwischen dem Frachtgut, der zu einer Art kleiner Wohnstatt führte: eine Laterne mit einer Talgkerze, ein kleines Fass mit einem Brett darauf als Tisch, eine schmale Kiste als Stuhl, eine andere, größere Kiste mit Stroh gefüllt. In einer Ecke befand sich ein kleiner Altar, ebenfalls aus einer Kiste gefertigt. Sorgsam hatte der Stallbursche hier das Dreieck hineingeschnitten. Ein Herbstapfel lag als Gabe inmitten des Dreiecks. Auf dem behelfsmäßigen Tisch stand auf einem Holzbrett das Frühstück für den Stallburschen, eine Schüssel Gerstenbrei, ein weiterer Apfel und ein Kanten frisches Brot.
Lea musterte das Lager. »Hier schlief der Stallbursche? Und Ihr habt ihm sein Frühstück gebracht?«
»Das tue ich immer. Heute früher als sonst, diese Nacht schlief ich nicht gut.« Er warf mir einen Blick zu. »Ich habe die Seile an der Stiege befestigt, und ich sprach mit meinen Töchtern über Euren Rat.«
»Tut mir Leid«, sagte ich ehrlich.
Er straffte die Schultern. »Es mag nicht in mein Herz wollen, aber mein Verstand sagt mir, dass Ihr Recht habt. Meine Töchter wissen das auch. Es führte trotzdem nicht zu einem erholsamen Schlaf. Wir haben lange gebetet, und ich schlief ein. Doch ich hielt es nur kurz im Bett aus. Also begab ich mich nach unten und räumte ein wenig auf. Was man so macht, wenn einem nichts Besseres einfällt.«
»Wie früh ist es eigentlich?«, fragte ich.
Er zuckte mit den Schultern. »Nicht so früh. Ich habe jedes Zeitgefühl verloren. Aber es ist spät genug für die Tiere.«
Einen Moment lang wusste ich nicht, was er meinte. Das Geheul des Sturms war allgegenwärtig, auch hier, aber ich hörte auch ein anderes Geräusch von jenseits der Tür, die zum Stall
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