Das erste Jahr ihrer Ehe
eine Tasse ein. Sie sah auf die Uhr. Fünf vor neun. Wo zum Teufel war James? Er musste normalerweise um fünf Uhr morgens seinen Dienst antreten. Sie hörte Patrick, der sich von Adhiambo ferngehalten hatte, aus dem Haus gehen. Er holte jetzt die Binden.
»Adhiambo, ich möchte Ihnen wirklich helfen«, sagte Margaret.
»Alles ist gut«, antwortete Adhiambo kaum hörbar.
War dies, fragte sich Margaret, die Übersetzung einer in Adhiambos Muttersprache gebräuchlichen Floskel? Margaret wusste nicht einmal, welchem Volk die junge Frau angehörte; sie hatte sich nie die Mühe gemacht, danach zu fragen. Adhiambo hatte ihre Haare mit dem sauberen Schal umwickelt, den Margaret ihr Minuten zuvor gegeben hatte. Ihre Haut war dunkelbraun mit einem Grauschatten. Es war kein Zeichen von Alter; es war lediglich der Ton ihrer Haut, so wie der von James’ Haut bläulich war. Margaret fragte sich, ob die Frau ihr Alter oder den Monat ihrer Geburt überhaupt kannte. Viele Afrikaner, mit denen Patrick im Krankenhaus zu tun hatte, wussten ihr Geburtsdatum nicht. Sie orientierten sich an Altersgenossen: Männern oder Frauen, die im selben Jahr geboren waren wie sie. Aber das genaue Datum? »Muss man das denn wissen?«, fragten sie verwundert.
»Es tut mir so leid, dass Ihnen das passiert ist«, sagte Margaret. Adhiambos Gesicht blieb so reglos, als hätte sie nichts gehört.
Als Margaret um halb zehn James die Tür öffnete, war sie verärgert. Er entschuldigte sich, bevor sie etwas sagen konnte.
»Die Memsahib wollte, dass ich das Frühstück mache und das Geschirr spüle. Sie war in Schwierigkeiten, weil Adhiambo nicht da war, um mit den Kindern zu hel-fen.«
»Schon gut«, sagte Margaret. »Ich bin froh, dass Sie jetzt da sind. Adhiambo spricht nicht mit mir. Ich glaube, sie schämt sich.«
»O ja«, meinte James nickend. Sein frisches weißes Hemd und die blaue Baumwollhose waren tadellos sauber trotz der Arbeiten, die er schon erledigt hatte. »Sie schämt sich sehr.«
»Sie ist in der Küche. Vielleicht können Sie sie dazu bringen, etwas zu essen.«
Während James zur Küche durchging, setzte sich Margaret auf einen Stuhl bei der Haustür, um die beiden nicht zu stören. Eigentlich war es egal, da Margaret sowieso kein Wort von dem verstand, was sie miteinander sprachen. War Adhiambo auch eine Luo?
Als James aus der Küche zurückkam, setzte Margaret sich aufs Sofa und wies auf einen Sessel in der Nähe. Sie war noch immer im Morgenrock; sie hatte mit dem Anziehen gewartet, weil sie James auf keinen Fall verpassen wollte.
»Adhiambo sagt, dass zwei Männer ihre Tür eingeschlagen haben und Pombe, also Bier, haben wollten. Sie hatte keines da. Sie wollte weglaufen, aber einer der Männer hat sie eingefangen. Alle beide waren sehr betrunken. Und sie haben sie vergewaltigt, weil sie wütend waren.«
»Beide?«
»Ja.« James schüttelte den Kopf, faltete die Hände und ließ sie zwischen den Beinen herabhängen.
»Ist sie verletzt? Innerlich?«
James schaute weg, nicht bereit, über Frauensachen zu sprechen. Aber er wusste, dass Margaret Adhiambo am liebsten von einem Arzt untersuchen lassen würde, deshalb musste er ihr antworten, ob er wollte oder nicht. »Nicht so schlimm. Alles ist gut.«
Wieder diese idiotische Wendung. Alles ist gut.
»Wie kann das sein? Es waren zwei Männer.«
James schwieg lange. »Adhiambo hat zwei Brüder in Kericho. Die kommen her, und dann bekommen die zwei Männer ihre Strafe. Sie werden gründlich verprügelt. Vielleicht entschuldigen sie sich noch heute Abend bei ihr.«
»James, sie kann nicht zurück.«
»Wohin soll sie denn sonst gehen? Ich gehe mit ihr und repariere ihre Tür. Ich leihe mir gute Werkzeuge von Mr. Arthur. Adhiambo sagt, es ist Medizin da …«
»Dann gehe ich mit Ihnen«, sagte Margaret. »Ich lasse sie nicht zu meiner Tür hinaus, wenn ich mich nicht selbst vergewissern kann, dass es ihr gut geht. «
Es war eine leere Drohung, das wusste auch James. Er und Adhiambo konnten jederzeit ohne sie zur Tür hinausgehen.
»Nein«, sagte er.
»Dann rufe ich bei der Polizei an und sage ihnen, dass sie vergewaltigt worden ist. Dann wird sie eine Menge Fragen beantworten und vielleicht zum Arzt gehen müssen. Ich tue es, glauben Sie mir.«
James zeigte Zweifel. »Warum? Warum wollen Sie sie noch schlimmer bestrafen? Ist sie denn nicht schon gestraft genug?«
Margaret dachte an die Massai und die Kikuyu und Patricks Argumente beim Picknick in den Ngong Bergen. Sie
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