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Das erste Jahr ihrer Ehe

Das erste Jahr ihrer Ehe

Titel: Das erste Jahr ihrer Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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schloss die Augen und schüttelte den Kopf und gab damit ganz klar zu verstehen, dass sie nicht tun würde, was sie soeben angedroht hatte.
    James stand auf. »Ich rede mit ihr«, sagte er.
    Von ihrem Platz auf dem Sofa aus hörte Margaret eine längere, erregte Auseinandersetzung in fremder Sprache. Als sie vorüber war, kam James wieder ins Wohnzimmer und nickte.
    »Ich ziehe mich an«, sagte Margaret.
    »Zuerst nehmen wir einen Bus, dann gehen wir zu Fuß weiter. Für Adhiambo ist das ganz in Ordnung, aber für Sie ist es gefährlich.«
    »Doch nicht am helllichten Tag«, entgegnete Margaret schon auf dem Weg zum Schlafzimmer.
    Sie hörte Patrick zurückkommen. Er wechselte ein paar Worte mit James, dann kam er ins Schlafzimmer und legte den Karton mit den Binden aufs Bett. Er holte den Arztkoffer, den er immer unter dem Bett verstaute, und entnahm ihm eine Tube mit einer antibiotischen Salbe und verschiedene Tabletten, die Margaret nicht kannte. Er verteilte die Tabletten in kleinen Schachteln. »Gib ihr die«, sagte er. »Die weißen soll sie nehmen, wenn sie Fieber bekommt, und die gelben sind Schmerztabletten. Eine jeweils alle sechs Stunden.«
    Margaret hatte Jeans und eine langärmelige Bluse angezogen und ein Kopftuch umgebunden, dessen Enden sie unter dem Kinn kreuzte und über die Schultern warf. Zuletzt schlüpfte sie in ein Paar Turnschuhe.
    »Wir müssen zu Fuß gehen«, erklärte sie. »Ich will nicht, dass eine Horde kleiner Jungen hinter uns her rennt und ›mzungu, mzungu!‹, ›Weiße, Weiße!‹, schreit.«
    »Ich fände es besser, eine Ärztin herzuholen. Du weißt, Josie würde sofort kommen«, sagte Patrick. Josie war eine Kollegin im Krankenhaus.
    »Mir wäre es auch lieber, sie würde sich von einem Arzt untersuchen lassen«, stimmte Margaret zu. »Aber das will sie nicht. Patrick, sie ist von zwei Männern vergewaltigt worden.«
    »O Gott.«
    Margaret nahm den Karton Binden und die Medikamente, die Patrick ihr gegeben hatte, und steckte alles zusammen mit ein paar Handtüchern in ihren Rucksack.
    »Da kann ich die afrikanischen Männer nur noch hassen«, sagte Margaret.
    »Ja, aber doch nicht alle«, entgegnete Patrick.
    »James mag ich.«
    »Na also.«
    Patrick bot nicht an, sie zu begleiten oder Margaret abzuholen. Er wusste, dass die Verhandlungen abgeschlossen waren. »Sei vorsichtig«, sagte er.
    Sie nahmen zunächst einen Bus und marschierten dann hintereinander, Adhiambo vor Margaret, James mit seinem Werkzeugkasten hinten. Sie folgten einem Fußweg, der am Ende einer Straße begann und sich durch Busch und Waldland schlängelte. Adhiambo hatte Mühe beim Gehen, darum kamen sie nur langsam voran. Margaret hielt unablässig nach Ameisen und Schlangen Ausschau und wünschte, sie hätte ihre Wanderstiefel angezogen.
    Eine Klettertour auf den Mount Kenya. Nur noch zwei Tage entfernt. Die Vorstellung erschien ihr absurd und frivol.
    Sie mussten zwanzig Minuten laufen. Sie durchquerten einen Wald, der eine Welt von einer anderen zu trennen schien. Als sie sich dem Barackendorf näherten, schlang sich Adhiambo einen zweiten Schal, den Margaret ihr gegeben hatte, um das Gesicht und bedeckte damit Mund und Kinn. Margaret tat es ihr nach. Sie hielt, wie Adhiambo, den Blick zum Boden gesenkt. James überholte sie beide und übernahm die Führung.
    Sie kamen in ein kleines Elendsviertel mit aus dünnen Holzbrettern notdürftig zusammengezimmerten Hütten, die mit Wellblech oder alten Autoreifen gedeckt waren. Fast bei allen konnte man zwischen den Brettern hindurchsehen. Über dem Fußweg hing der Dampf kochenden Fleischs. Der Geruch war entsetzlich, und Margaret fragte sich, was die Menschen hier von ihrem Geruch dachten, dem Mzungu-Geruch. Vielleicht war er ihnen genauso widerwärtig. Arbeitete James Tag für Tag in einer Umgebung, die er kaum ertragen konnte? Sie kamen an Dutzenden von Kindern vorbei, die ihnen lachend hinterherrannten. Nun hatten sie die Horde kleiner Jungen doch auf dem Hals. Margaret hatte geglaubt, mit dem Kopftuch und der Sonnenbrille würde sie kaum als Weiße zu erkennen sein. Wie naiv konnte man eigentlich sein? James legte merklich an Tempo zu, und es fiel Adhiambo schwer, zu folgen. Margaret konnte nur versuchen, sich vorzustellen, wie schmerzhaft das Gehen für sie sein musste. Aber James hatte es offensichtlich eilig, anzukommen.
    Es gab keine Straßen, nur Fußwege, hier und dort eine Gasse, die breit genug war für ein kleines Auto. Margaret hatte gehört, dass

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