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Das erste Jahr ihrer Ehe

Das erste Jahr ihrer Ehe

Titel: Das erste Jahr ihrer Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Hätte sie die Kraft gehabt, so hätte sie die Umarmung erwidert.
    Sie wurden aufgefordert, die Taschenlampen wieder einzuschalten und sich aufzustellen. Der Weg, der vor ihnen lag, war ziemlich eben; sie befanden sich auf einer Art Plateau. Margaret sehnte sich danach, dass endlich die Sonne aufgehen würde, auch wenn sie nur Wolken zu sehen bekommen würden. Die Dunkelheit war unheimlich. Auf der Schotterhalde hatte sie sich wegen Tieren keine Gedanken gemacht. Welches Tier, wie raubgierig auch immer, würde schon auf einer Schotterhalde auf die Pirsch gehen? Aber jetzt, im offenen Gelände, würden sie die Menschen vielleicht wittern. Oder hatte die Gruppe inzwischen ein Gebiet erreicht, in dem keine größeren Tiere mehr umherstreiften?
    Als die Sonne aufging, war alles vergessen, was unmittelbar vorher gewesen war. Die Wolkendecke war aufgerissen. Obwohl die emporsteigende Sonne selbst nicht zu sehen war, hellte sich Margarets Stimmung auf. Hier und dort fiel das Licht auf die blanken Flächen der Felsen über ihnen. Sie brauchte nicht lange, um zu erkennen, dass sie sich jetzt über den Wolken befanden. Der Blick reichte nicht weit, aber das Land vor ihnen wurde immer deutlicher sichtbar, und zum ersten Mal konnten sie die kleineren Bergspitzen erkennen, über die der Weg zum Gipfel führte. Das Licht, weich und rosig, hätte jeden Fotografen begeistert. Margaret bat Patrick anzuhalten und holte ihren Fotoapparat aus seinem Rucksack. Sie machte ein Dutzend Bilder in alle Richtungen. Sie hielt ihr Gesicht in die Sonne. Ihre Strahlen sollten jedes erreichbare Partikelchen Haut durchdringen. Sie glaubte jetzt wieder daran, dass sie es zum Gipfel schaffen würde. Willem und Saartje begannen, sich miteinander zu unterhalten. Arthur drehte immer wieder einmal den Kopf, um Willem etwas zu sagen. Nur Diana blieb schweigsam, scheinbar ungerührt vom Anblick der zum Leben erwachten Landschaft. Die düsteren Grau- und Brauntöne waren verschwunden, verdrängt von dem satten Blau des Himmels, dem glitzernden Grau der Felsen und, in der Ferne, dem bedrohlichen Weiß des Gletschers.
    Am Fuß des Gletschers wandte sich der Führer an die Gruppe. Die Überquerung, sagte er, sei kein Kinderspiel. Als Erstes sollten jetzt alle, die das bis jetzt nicht getan hatten, ihre Sonnenbrillen aufsetzen, Schneeblindheit sei eine ernst zu nehmende Gefahr und könne zu schweren Beeinträchtigungen führen. Zweitens sollten sie alle sich das Gefälle der Eisfläche genau ansehen. Margaret bekam weiche Knie, und sie ahnte, dass sie damit nicht allein war. Der Führer erklärte weiter, dass sie nichts zu befürchten hätten, wenn sie seinen Anweisungen folgten. Er werde Trittstufen in das Eis schlagen; die Kletterer würden am Seil gehen, vorn der Führer und zwischen ihnen verteilt die Träger mit Pickeln. Sie brauchten nichts anderes zu tun, als einen Fuß vor den anderen zu setzen und auf ihn zu achten. Sie würden ihn alle hören können, versicherte er, auch die, die hinten gingen. Sie würden den Gletscher im Nu überquert haben.
    Dann gebot er ihnen, sich aufzustellen. Er würde als Erster gehen, nach ihm Diana. Offensichtlich hatte er Dianas Ungeduld bemerkt und erkannt, dass sie die Erste der Gruppe würde sein wollen. Als Nächster folgte Arthur, dann ein Träger. Anschließend kamen Margaret und Patrick, denen wieder ein Träger folgte, und danach Saartje und Willem mit den restlichen Trägern als Nachhut. Der Führer gab Willem einen Pickel und sagte, er werde ihm Zeichen geben, wenn er gebraucht würde.
    Margaret fand ihre Position beruhigend. Arthur und ein Träger vor ihr, Patrick hinter ihr. Sie war nicht mehr die Letzte. Zum ersten Mal auf dieser Wanderung verspürte sie Zuversicht, obwohl ihr die Knie immer noch weich waren. Einzig Mut war gefordert, und den, glaubte sie, würde sie aufbringen können. Sie brauchte nur an die Schotterhalde zu denken, dann würde sie sehen, wie einfach es im Vergleich über den Gletscher war, wenn sie sich nur an die Anweisungen hielt.
    Der Führer hängte sie sorgfältig in angemessenen Abständen in das Seil ein. Nachdem er auch sich selbst angeseilt hatte, hob er die Hand in die Höhe, um das Signal zu einem Vorwärtsschritt zu geben. Sie würden das die ersten fünf, sechs Meter bis zum Eis üben, um in den Rhythmus zu kommen. Als der Gletscher erreicht war, hörte Margaret, wie der Führer seinen Pickel einschlug. Sie folgten bereits früher geschlagenen Stufen, die jedoch nachgebessert

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