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Das erste Jahr ihrer Ehe

Das erste Jahr ihrer Ehe

Titel: Das erste Jahr ihrer Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Atem roch schal.
    »Was ist mit Arthur?«
    »Als ich heute Morgen aufgewacht bin und dich wecken wollte, lagt ihr beide Hand in Hand da.«
    Margaret war erstaunt. Sie und Arthur hatten sich die ganze Nacht bei den Händen gehalten?
    »In der Hütte waren Ratten«, sagte sie schnell.
    »Und?«
    »Eine ist mir über die Hand gelaufen. Da bin ich aufgewacht. Wahrscheinlich habe ich geschrien. Arthur hat mir dann erklärt, dass es in der Hütte Ratten gebe. Ich wäre vor Angst am liebsten auf und davon gelaufen, Patrick. Arthur hat meine Hand genommen, um mich zu beruhigen.«
    Patrick sagte nichts.
    »Es war nicht so, wie du denkst. Er wollte mich einfach beruhigen, wie man das bei einem Kind tut, das Angst hat.«
    »Kannst du aufrichtig sagen, dass dir sein Interesse an dir nicht aufgefallen ist?«
    Zuerst schwieg Margaret. »Das heißt noch lange nicht, dass ich darauf anspringe«, sagte sie schließlich.
    »Margaret, überleg doch mal. Du hältst mit ihm Händchen. Was glaubst du wohl, wie Diana das fand, als sie es beim Aufwachen sah?«
    Margaret schüttete den Kaffeesatz weg.
    »Du hättest mich wecken sollen«, fuhr Patrick fort. »Schließlich bin ich dein gottverdammter Ehemann.«
    »Du bist nicht mein gottverdammter Ehemann«, entgegnete Margaret. »Du bist mein geliebter Ehemann.«
    »Herrgott noch mal.« Patrick schüttelte den Kopf, als gäbe es nichts mehr zu sagen.
    Margaret hätte vielleicht nachgehakt, aber der Führer rief die Gruppe zusammen. Sie hätte gern gewusst, wer sonst noch sie und Arthur Hand in Hand gesehen hatte und ob das die zornigen Stimmen erklärte, die sie beim Erwachen draußen vor der Hütte gehört hatte.
    Die Träger statteten sie für den Weg durch die Dunkelheit alle mit Taschenlampen aus. Diana trat neben Margaret.
    »Es wäre nett, wenn Sie heute versuchen würden, an der Gruppe dranzubleiben«, sagte sie eisig. »Strengen Sie sich ein bisschen an, ja?«
    Die Schotterhalde forderte harten Tribut: Nach drei mühsamen Schritten bergan rutschte man unweigerlich zwei Schritte wieder ab. Mit der körperlichen Arbeit, die man leistete, um drei Schritte zu vollbringen, gewann man höchstens einen. Es war ein Sisyphusunterfangen.
    Wenn Margaret nach oben blickte, konnte sie kleine Lichtflecken auf der steilen Halde erkennen, die Gestalten der Kletterer jedoch waren in Dunkelheit gehüllt. Der Anstieg war eine Tortur. Ihre Oberschenkel brannten; ihre Kehle brannte. Sie dachte an Dianas unterkühlte Ermahnung und wusste, dass es ihr unmöglich war, nahe an der Gruppe zu bleiben. Sie würde eben wieder Dianas Herablassung ertragen müssen. Aber Diana war ihre geringste Sorge. Sie wollte anhalten. Sie hatte die Träger hinter sich, und ab und zu kam einer von ihnen zur ihr und fragte, ob alles in Ordnung sei. Als einer ihr einen Becher aufbereitetes Wasser gab, hätte sie beinahe geweint. Sie konnte kaum die Worte hervorbringen, um ihm zu danken.
    Sie fragte sich, warum sie sich überhaupt auf dieses Unternehmen eingelassen hatte. Dies sollte der schnellste und, wenn auch steilste, leichteste Weg zum Point Lenana sein, aber das war natürlich nur eine relative Aussage, die sich an erfahrene Kletterer richtete. Mindestens hätte sie besser in Form sein sollen. Sie erinnerte sich, mit was für einem beinahe kriminellen Leichtsinn sie an die Bergwanderung gedacht hatte. Sie erinnerte sich des Moments, als Patrick ins Gästezimmer gekommen war und gesagt hatte, Wir steigen auf den Mount Kenya . Sie hätte so leicht sagen können, Ich nicht .
    Oben, am Ende der Schotterhalde, machten sie eine kurze Rast. Die anderen kamen Margaret immerhin so weit entgegen, dass sie ihr Zeit ließen, wieder zu Atem zu kommen. Man gab ihr Wasser zu trinken, und alle bekamen sie eine kleine Zwischenmahlzeit in Form von zwei Haferkeksen.
    »Das Schlimmste haben wir hinter uns«, sagte Patrick. »Aber wir müssen leider gleich weiter. Der Führer möchte, dass wir den Gletscher vor Sonnenaufgang erreichen.«
    »Warum ist das so wichtig?«, fragte Margaret. »Die Sonne scheint doch sowieso nicht.«
    »Ich vermute, sie haben ihre Gründe. Sie haben das ja schon hundertmal durchexerziert.«
    »Kannst du dir das vorstellen?«
    »Ganz ehrlich? Nein.«
    Im Dunklen konnte Margaret die Gesichter der anderen nicht erkennen, und sie war froh darüber. Die Taschenlampen hatten sie während der Pause ausgemacht, um die Batterien zu schonen. Patrick nahm Margaret in den Arm und drückte sie. Sie verstand es als Friedensangebot.

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