Das erste Schwert
Meister Oleg. »Vor zwei Tagen also kam ein Mann nach Weiden-Wirrholz und suchte mich auf. Unterkunft für
eine Nacht verlangte er. Und er hat
Fragen
gestellt ... wenn du verstehst, was ich meine. Von ihm weiß ich von den Jungen des Schmieds. Er wollte wissen, ob sie sich hier haben
blicken lassen. Hat behauptet, er sei ihr lange in der Fremde verschollener Onkel. Hörte sich auch alles ziemlich glaubwürdig
an, das muss ich schon sagen.« Nun fasste der Wirt Ellah ins Auge. »Auch, dass die beiden in Begleitung eines Mädchens aus
ihrem Dorf reisten, wusste der Fremde. Sagte, möglicherweise sei auch noch ein Pfuhlgänger mit im Bunde. Nur
die da
erwähnte er mit keinem Sterbenswörtchen.« Mit einem neuen großen Schluck Ale spülte er die nach dieser langen Rede wohl quälende
Trockenheit aus seinem Mund.
Skip starrte ihn an und wagte kaum zu atmen. Aus den |295| Augenwinkeln heraus bekam er mit, dass Ellah und Erle totenbleich wurden und Kara und Garnald sie alle mit ganz neuem Interesse
anstarrten.
Erle erholte sich als erster. »Wie sah der Mann aus?«, fragte er rau.
Der Wirt hob die Schultern.
»Alltagsgesicht, würde ich sagen. Unsere Bedienung, Swetlana, meinte, er sehe recht gut aus. Nur seine Kleidung war ein wenig
schäbig, abgetragen, wenn ihr mich fragt. Er hätte als einer aus Weiden-Wirrholz durchgehen können, wären da nicht die vielen
Waffen gewesen. Und, ja, die Art, wie er sich bewegte ... richtig elegant, wie meine Katze, wenn sie auf Jagd geht. So einen Kerl hab ich mein Lebtag noch nicht gesehen!«
Der Diamant-Majat.
Am liebsten wäre Skip aufgesprungen und davongelaufen; er wollte sich nur noch verkriechen, ganz egal, wo. Doch in den Tiefen
seines Herzens verspürte er auch Erleichterung. Wenn jener geheimnisvolle Fremde tatsächlich der Assassine war, den sie alle
so fürchteten, dann konnte man Kara unmöglich weiter verdächtigen. Er hatte es natürlich immer gewusst, doch empfand er es
als Erlösung, dass diese schmerzhafte Angelegenheit nun zweifelsfrei geklärt war.
Er bemerkte, dass Garnald zu ihm herüberblickte und lächelte.
»Der Beschreibung nach muss es derselbe Mann sein, der kurz vor meinem Aufbruch im Außenposten Halt machte«, stellte Garnald
fest. »Und ich habe mittlerweile auch begriffen, dass ihr Kinder nicht über ihn reden wollt. Aber was um alles in der Welt
belustigt dich so, Skip?«
Skip suchte hitzig nach Worten und spürte, wie ihm doch nur das Blut in die Wangen schoss. Er starrte Kara an, blinzelnd,
hektisch, und sogleich wieder von ihr fort – aus Angst, seine Gedanken zu verraten. Er konnte ihnen nicht die |296| Wahrheit darüber sagen, weshalb er lächelte. »Ich – äh –«, stammelte er, doch dann ergriff ihn eine seltsame Tollheit – und die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus: »Ich – ich
glaube, der Mann verfolgt uns, und alles sah danach aus, als habe er unsere Spur verloren. Und jetzt reitet er vor uns her,
mit einem Vorsprung von zwei Tagen. Wäre er hinter uns, müssten wir ständig auf der Hut sein. Ist er aber nicht. Also wird
er uns auch niemals finden!« Er hielt inne; plötzlich gar nicht mehr so sicher, ob alles einen Sinn ergab, was er soeben von
sich gegeben hatte.
Garnald schüttelte den Kopf und murmelte: »Sei dir da bloß nicht so sicher, Junge. Sei dir da bloß nicht so sicher.«
Der Eckturm
Der Majat-Meister Oden Lan betrat sein Studierzimmer im Eckturm der gewaltigen Feste und ließ sich hinter dem Schreibpult
nieder; dieser Platz gewährte ihm einen freien Blick sowohl auf die Übungsgelände tief unten im Hof, wie auch zur Straße hin,
die sich durch das östliche Burgtor hinaus schlängelte. Nach den kürzlich beendeten Kampfausbildungen hatte sich der Übungshof
größtenteils geleert. Nur eine einsame, gänzlich schwarz gekleidete Gestalt kauerte noch in einer Ecke und polierte die schmale
Klinge eines Krummsäbels. Aus dieser Entfernung vermochte der Gildenmeister nicht, des Assassinen Gesicht zu erkennen; die
Geschicklichkeit allerdings, mit welcher er sich der Waffe widmete, kündete von einer weit fortgeschrittenen Ausbildung.
Es steht zu vermuten
, dachte Oden Lan,
dass er sich auf das seinen künftigen Rang bestimmende Turnier vorbereitet.
Nun wandte er seine Aufmerksamkeit dem anderen Turmfenster |297| und der Straße zu. In weiten Windungen führte sie aus den Höhen der Steinernen Grate bergab und den Seengebieten zu. Mühelos
und ohne sich
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