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Das erste Schwert

Titel: Das erste Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kashina
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Reitechse des Kapuzenmannes straff gezügelt die Straße entlang und dem Lager
     der beeindruckenden Garde zu. Gemächlich wogender Staub umfing den Priester wie ein bizarrer Heiligenschein. Ein schwarzer
     Vogel schoss pfeilschnell hoch am Himmel dahin. Oden Lan meinte ihn wie eine geknechtete Seele schreien zu hören.
    »Was wollte er?«
    Diese Frage überstieg das Recht eines Waffenmeisters bei Weitem. Davon abgesehen, kannte der alte Abib die Antwort. Eingedenk
     dessen wahrte Oden Lan sein Schweigen.
    Im Sessel in der Ecke verlagerte Abib sein Gewicht; wie Juwelen leuchteten seine blauen Augen unter den buschigen Brauen.
    »Wie gedenkt Ihr diese Sache zu handhaben, Aghat?«, fragte er. »Diamant gegen Diamant? Das letzte Mal führte eine solche Konstellation
     zu den Heiligen Kriegen.«
    |300| Er hatte ein längliches Gesicht, der gute Abib, und ein äußerst vielfältiges Mienenspiel. In seinem ganzen Leben hatte Oden
     Lan kein ausdrucksstärkeres Gesicht geschaut. Und genau in diesem Augenblick drückte es mehr als alles andere Schalkhaftigkeit
     aus, ganz wie in alten Zeiten.
    »Einem von diesen beiden ist es bestimmt, zu scheitern«, entgegnete Oden Lan schlicht.
    Abib schüttelte den Kopf. »Ein Diamant versagt nie«, murmelte er. »Und geschieht es doch, so wird es unserer Gilde angelastet.
     Ihr hättet nicht
beide
Angebote akzeptieren dürfen, Aghat. Das hohe Alter hat Euch gierig gemacht.«
    »Ich habe zwei der Besten entsandt«, wandte Oden Lan ein.
    »Das macht die Sache nicht besser, Aghat. Was Ihr so gut wisst wie ich.«
    »Wir werden sehen.« Oden Lans Fingerspitzen schlugen einen nervösen Trommelwirbel auf die Oberfläche des Pultes. Keine gute
     Angewohnheit für einen Assassinen – angeeignet in den vielen Jahren, die er in diesem Studierzimmer zugebracht hatte. Oh,
     wie sehr er das Leben außerhalb dieses Eckturmes vermisste – das Leben der
Tat
; doch nach all diesen Jahren – noch dazu in seinem Alter – war es zweifelsohne an der Zeit, sich damit abzufinden, dass es
     ein solches Dasein für ihn nimmermehr geben konnte.
    Abib ließ nicht locker. »Wissen sie wenigstens voneinander?«, bohrte er weiter. »Habt Ihr Euren beiden besten Aghat reinen
     Wein eingeschenkt – dass ihre Befehle nämlich beinhalten könnten, gegeneinander antreten zu müssen?«
    »Werdet nicht gefühlsduselig, Abib!« Oden Lan lächelte und sah aus dem Fenster. Der Priester hatte seine Eskorte um sich geschart,
     und gemeinsam brachen sie nun allesamt auf und machten sich auf ihren langen Weg zurück nach Aknabar.
    »Was, wenn der eine den anderen erkennt?«, fragte Abib unbeeindruckt und beharrlich wie eh und je weiter.
    |301| »Das wird nicht geschehen. Einer der beiden wurde in der inneren Feste ausgebildet.«
    In Abibs tiefen Augenhöhlen blitzte es blau. »Ein Namenloser auf seiner ersten Mission? Ist es nicht zu viel verlangt von
     einem
Erstling,
sich gleich beim ersten Mal mit einem ranggleichen Kameraden messen zu müssen? Oder habt Ihr ihn von Anfang an als Bauernopfer
     ins Spiel gebracht?«
    Oden Lan wiegte sacht den Kopf. »Dieser Namenlose wird nicht scheitern«, sagte er mit fester Stimme.
    »Also ergreift Ihr Partei, Aghat? Widerspricht das nicht unseren Prinzipien?«
    Der Gildemeister blickte ihn ausdruckslos an; seine Rechte strich, ohne dass ihm dies bewusst wurde, über den Beutel mit den
     Goldkronen.
    »Davon abgesehen, dass uns die augenblickliche Konstellation ein Vermögen einbringt«, sagte er, »gibt sie uns auch einen guten
     Einblick in die Wirklichkeit dort draußen. Es ist ein gewaltiges Spiel um Macht und Einfluss im Gange, und längst geht es
     um höchste Einsätze. Irgendwann mag auch für uns die Zeit gekommen sein, da wir uns für eine Seite entscheiden müssen – mit
     allen daraus folgenden Konsequenzen. Einen Diamanten in beiden Lagern zu haben, mag unserem Blick die nötige Schärfe verleihen.«
    Eine ganze Weile blieb Abib stumm. »Ich bin kein guter Politiker«, brummte er schließlich. »Die Politik, das ist Euer Fachgebiet,
     Aghat. Ich bin nur derjenige, der für Eure Kämpfer die Waffen bereitstellt.«
    »Und doch seid Ihr ein Majat von Rang und Namen, wie wir alle. Ihr seid Teil des Ganzen, Abib. Wir stehen einer gänzlich neuen
     Herausforderung gegenüber, wie es sie seit den Tagen der Heiligen Kriege nicht mehr gegeben hat. Was also hättet Ihr an meiner
     Stelle getan, Abib?«
    »Oh, nein!«, rief er glucksend aus, »Ihr seid der Gildemeister. Ich herrsche

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