Das erste Schwert
leibhaftiges Entsetzen, und daran würde sich bis an ihr Lebensende nichts mehr
ändern.
Vielleicht also
, sann er,
hat Haghos doch keinen Fehler begangen, indem er diese Männer anheuerte. Falls er sie als Ablenkungsmanöver und Bauernopfer
ausschickte, so haben sie ihren Zweck, alle Aufmerksamkeit von dem Majat abzulenken und dessen Wild – den Jungen – aufzuscheuchen,
gewiss erfüllt.
»Noch während wir mit der letzten Durchsuchung persönlicher Dinge beschäftigt waren«, sagte Jareth, »entzündete sich, wohl
durch Funkenflug aus dem Schmiedeofen heraus, ein Brand. Dieses Feuer geriet sofort außer Kontrolle. Etwas ist explodiert.
Der Feuersturm war so schlimm, dass wir ihm nur mit knapper Not entkamen!«
»Bewundernswert«, sagte Boydos mit trockener Ironie.
Die beiden Männer standen mit hängenden Köpfen vor ihm und wagten kaum zu atmen.
»Ein Letztes will ich noch wissen.« Boydos sprach ganz sanft. »Es ist mir bekannt, dass ihr, nachdem ihr euch von eurem Meister
Gallen verabschiedet habt, kurz in die Gemächer des Allheiligen Vaters bestellt wurdet. Wie lauteten seine Befehle?«
Sie zauderten.
Also fasste er sie strenger ins Auge. »Es ist meine Pflicht, alles zu wissen, was innerhalb dieser Klostermauern vor sich
geht. Nötigenfalls werde ich alle mir zur Verfügung stehenden Maßnahmen nutzen, um die Wahrheit zu erfahren!«
Wie Rauch zerstob ihr Widerstand. Einmal mehr war es Boydos zufrieden, feststellen zu können, dass seinen Worten gewiss nicht
weniger ängstigende Macht innewohnte als jenen des Allehrwürdigen.
»Zur Kronstadt Tandar hieß uns der Allheilige Vater zu reiten«, flüsterte der Entenmann Jareth mit totenblassen Lippen gestelzt,
»und dort dem Bruder Pavlos in der Residenz-Burg |398| Dorns Trutz Bericht zu erstatten. Auch einen versiegelten Umschlag mit einer Mitteilung sollten wir ihm aushändigen – und
dann alle weiteren Befehle von ihm entgegennehmen.«
»Auch einen Mordauftrag?«, zischte Boydos speichelsprühend. Er war bestürzt. Attentate auf Herzöge waren nicht gang und gäbe
in diesem Königreich. Insbesondere nicht solche, die mit Billigung Seiner Heiligkeit geplant und vollzogen wurden.
»Alle nur denkbaren Befehle.« Damit stand fest, dass die Möglichkeit auch eines Mordbefehls erörtert worden war. Und nach
allem, was Boydos von Dorns Hauspriester, Bruder Pavlos, noch erinnerlich war, bestand die höchste Wahrscheinlichkeit dafür,
dass er in der gegenwärtigen Situation genau jenen Befehl erteilte. Dieser Mann war zu allem fähig.
Dorn
, dachte Boydos mit einer Gedankenstimme wie aus purem Frost.
Haghos muss
wirklich
Angst haben.
Er wandte sich wieder den beiden Elenden zu.
»Säubert, was ihr hier gegen die Kapellenmauer gespien habt!«, wies er sie an. »Dann geht. Führt eure Befehle aus.«
Als er ins finstere Labyrinth der steinernen Klosterkorridore zurückkehrte, kam er sich vor wie zu einem Schatten geworden.
Die Seherin
Wie unter Schock zügelten Skip, Erle und Ellah ihre Pferde hoch über dem östlichen Ufer des Flusses Elligar und starrten so
gebannt, als sähen sie jenseits der Wasser ein Götzenbild am Horizont erstrahlen. Vor ihnen senkte sich das weite Grasland
sacht zu den majestätischen Fluten hinab. Seit vielen |399| Tagen waren sie Seite an Seite mit dem Elligar geritten – er tief unten in seinem breiten Bett, sie auf den himmelwärts gewölbten
Buckeln der Or’hallas, und allmählich hatte sich etwas wie ein Hochgefühl in ihnen allen eingefunden. Wie Wolken waren sie
ihm nah gewesen und doch so hoch über ihm. Nichts hatte sie auf den Anblick vorbereitet, der sie schließlich am jenseitigen
Ufer erwartete. Es gelang ihnen nicht, ihren Blick wieder fortzureißen von dem ungeheuerlichen Gebilde aus wabernden Lichtern
und tausenderlei schemenhaften Formen, das sich dort drüben in der Abenddämmerung emportürmte.
»In Shal Addims Namen!«, flüsterte Erle.
»Das nennen sie eine
Stadt
?, fragte Ellah zittrig.
Skip verspürte ein Gefühl des Unwirklichen und fragte sich, wie er sich die Handelsstadt Jaimir vorgestellt hatte. Wie eine
größere Ausgabe der Sumpfstadt – nur auf trockenem Grund? Eine Ansammlung von einigen hundert, vielleicht gar tausend Gebäuden?
Und wenn schon – hätte nicht auch ein solcher Anblick sein und ihr aller Vorstellungsvermögen bereits überstiegen?
Nein, sie waren nicht vorbereitet gewesen auf
dies
hier!
»Hey, Walder!«, rief Ohdi ihnen zu.
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