Das erste Schwert
regelmäßig an den abendlichen Zusammenkünften des
Stammes
teilzunehmen. Sie hatten einige der traurigen Cha’ori-Lieder und die Kreistänze gelernt und Hand in Hand |402| mit Kriegern und Frauen das Feuer umtanzt und zu den tiefen Stimmen der
Arridi-
Flöten gesungen. Zwei- oder dreimal hatte sich Skip gar als Vorsänger gemeldet und mit tiefer Stimme die Cha’ori-Worte wiedergegeben,
so gut es ihm möglich war – unter der lächelnden Anerkennung aller.
Da war es ihm bewusst geworden, dass sie alle drei in diesem
Stamm
eine neue Familie gefunden hatten – jene Familie, die sie so sehr vermissten, seit sie aus Eichenhain vertrieben worden waren.
Auch aus diesem Grund fand Skip die Vorstellung, morgen Lebewohl sagen zu müssen, so schwer erträglich.
Ganz losgelöst von dem fröhlichen Treiben ringsum saß er in einen Kokon aus Gedanken und Zukunftsängsten gehüllt am Feuer.
»Sei nicht traurig, Skip«, sagte eine Stimme nah an seinem Ohr. Wie er den Kopf herumruckte, erblickte er einen jungen Cha’ori,
der sich neben ihm niederließ, den dicken Haarzopf mit nachlässiger Geste über die Schulter zurückstreifte und aufmunternd
nickte.
Adhim war es, jener Kriegerjunge, der ihn während der Ulaijim-Feier aufgefordert hatte, durch die Flammen zu springen. Auch
er war heimlich verliebt in ein Cha’ori-Mädchen, das ihn überhaupt nicht beachtete, und eines Tages hatte er Skips Elend durchschaut
und sich seinerseits offenbart. So waren sie zu Leidensgefährten geworden, und schließlich zu Freunden, die ein ganz besonderes
Band einte. Nun schmunzelte er und klopfte Skip auf die Schulter.
»Wir werden uns wiedersehen, ich weiß es«, sagte er. »Unsere Seherin sagt, dass du eines Tages zu uns zurückkehren wirst.«
»Eure Seherin?« Skip war verwirrt. Er hörte zum ersten Mal von einer solchen Person. Bisher hatte er nicht einmal gewusst,
dass es Seher gab unter den Cha’ori.
Anstelle einer Antwort richtete Adhim seinen Blick nur |403| vielsagend auf jene Gestalt, die sich ihnen in der einbrechenden Dämmerung näherte und vor dem gestirnten Himmel viel zu groß
für einen Menschen wirkte. Doch erkannte Skip sie sogleich. Es war Dagmara.
»Komm mit mir, Skip«, forderte sie ihn wie ehedem auf. »Ich habe dir noch etwas zu sagen, bevor unsere Wege sich trennen.«
Neugierig genug folgte er Dagmara zu ihrem kleinen Zelt. Erinnerungen an ihre erste Einladung suchten ihn heim. Es kam ihm
vor, als sei es Jahre her.
Wie beim ersten Mal ließ sich Dagmara auf ihrem Sitzkissen bei dem zierlichen Tischchen nieder, schenkte dunklen, starken
Tee ein und bedeutete ihm, ebenfalls Platz zu nehmen und zu trinken. Skip gehorchte wortlos und dachte daran, wie viel sich
geändert hatte seit seinem letzten Besuch in diesem Zelt. Sich auf einem am Boden liegenden Kissen niederzulassen, kam ihm
längst so selbstverständlich vor wie einst das Sitzen auf einem Stuhl. Seine Muskeln schmerzten nicht mehr, sondern fühlten
sich ganz im Gegenteil auch nach einem langen Tag im Sattel angenehm warm durchblutet und entspannt an. Und sein Gesicht,
das wusste er, hatte sich unter der Sonne der Or’hallas ein wenig dunkler gefärbt, sodass er einem Cha’ori ähnlicher sah,
als er dies jemals für möglich gehalten hätte.
»Ja«, sagte Dagmara, als habe sie seine Gedanken erraten. »Du hast dich wahrlich verändert in diesem Mondlauf. Es ist keine
große Zeitspanne, aber für Jenen-einen-der-du-bist markiert sie einen himmelweiten Unterschied.«
»Jener-eine-der-ich-bin?«, wiederholte er fragend.
»Einer mit offenem Verstand«, führte sie aus. »Und, noch wichtiger, einer mit dem Willen, zu überleben.«
Eine Weile studierte sie aufmerksam sein Gesicht. Er ließ es geschehen und wartete geduldig.
»Nicht nur, um Lebewohl zu sagen, bat ich dich, mit mir |404| hierher zu kommen«, sagte sie schließlich. »Auch unsere Unterhaltung wollte ich zu Ende führen. Das heißt, wenn du bereit
dazu bist.«
Natürlich wusste er, worauf sie anspielte: auf jenen Mangel an Vertrauen, den er ihr offenbart hatte, als sie über seine Gabe
zu ihm sprach. Den
Fluch
.
Während seiner Tage unter den Cha’ori dieses
Stammes
hatte er sich damit abgefunden. Er war bereit zu akzeptieren – sowohl die Tatsache, dass ihm eine unerklärliche Befähigung
zu eigen war, wie auch die Tatsache, dass er
trotzdem
hatte weiterleben dürfen, sodass seine bloße Existenz bereits ein kaum verständliches Mysterium
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