Das erste Schwert
»Kommt – essen! Euch wird später noch genug Zeit bleiben, eure Stadt anzustarren. Sie
läuft nicht weg!«
Skip kam sich vor, als sei er wachgerüttelt worden. Plötzlich gelang es ihm mühelos, den Blick abzuwenden und sein sanftmütiges
Pferd Na’sut herumzuziehen; das Bild der so grandiosen wie furchteinflößenden Riesenhaftigkeit der Stadt Jaimir jedoch flammte
auf der Innenseite seiner Lider auf, sooft er blinzelte. Schon bald schälte sich der Cha’ori-Zeltkreis aus der Abenddämmernis,
und er empfand es wie heimkehren.
Nach dem vergangenen fast vollständigen Mondlauf war Skip auch nicht mehr wund und körperlich fertig. Und – er |400| hatte nicht nur Reiten gelernt, sondern sich frühmorgens, beim Aufwachen, auch dabei ertappt, dass er sich auf einen weiteren
Tag im Sattel freute. Freilich blieb Erles Haltung im Sattel unerreicht – man vermochte ihn nicht mehr von einem Cha’ori zu
unterscheiden – doch das hatte Skip nie gekümmert, allerhöchstens Ansporn war es ihm gewesen. Spätestens seit er herausgefunden
hatte, dass Na’sut, das Pferd, das
Maus
hieß, entgegen seines sanftmütigen Äußeren sehr wohl imstande war, tüchtig zu galoppieren, schwelgte er in seinem kleinen
Glück. Es gelang ihm, sich von der Nachhut des Stammes ins Mittelfeld der Reiterformation vorzuarbeiten, und gelegentlich
riskierte er’s gar, an Erles Seite zu reiten. Längst kicherten die Cha’ori-Mädchen nicht mehr, wenn er in ihre Nähe kam, und
einige Blicke flatterten zu ihm her, wenn es ihm gelang, Na’sut in beständigem Trab neben Erles prächtigem Xar zu halten.
Und Ellah? Sie hatte schließlich doch noch ihre Hemmungen überwunden und das Reiten im Damensitz aufgegeben. Mittlerweile
saß auch sie mit
sündhaft
gespreizten Beinen im Sattel, ganz so, wie auch die Cha’ori-Mädchen und -Frauen, und seither hatte sie sich ebenfalls zu einer
recht guten Reiterin entwickelt. Wenn sie vor Erle und ihm hergaloppierte und sie beide ins Keuchen gerieten vor Anstrengung,
sie einzuholen, dann pfiffen die jungen Cha’ori-Männer beifällig, und die älteren Krieger hoben amüsiert die Augenbrauen.
Dies war ihre letzte Nacht im Zeltkreis der Cha’ori.
Morgen hieß es, den Nomaden Lebewohl zu sagen und mit einer Fähre ans Westufer des Elligar überzusetzen, zurück ins Land Tallan
Dar. Skip musste sich zwingen, nicht daran zu denken; nicht nur wegen der neuerlichen Überquerung des Flusses. Längst hatte
er sich eingestehen müssen, dass es ihm gefiel, stets viele Menschen um sich zu haben, tagsüber den Reitwind im Gesicht zu
spüren und unter sich die geschmeidigen Bewegungen des Pferdes; es war schön, abends mit den |401| anderen zu arbeiten und danach am Feuer zu sitzen und zu palavern, lachen und singen und schließlich mit zwei Dutzend Kriegern
unter einem Zeltdach zu nächtigen, und es stellte eine ganz erstaunliche Abwechslung dar zum Reisen in einer kleinen Gruppe,
da man allen unbekannten Gefahren, die da lauern mochten, nun aus einer bislang ungewohnten Sicherheit heraus entgegensah.
In den vergangenen Wochen hatte er kaum ein Wort mit Kara gewechselt, obgleich sie Erle, Ellah und ihm, allezeit beobachtet
von jungen Cha’ori-Kriegern, weiterhin Waffenlehrmeisterin gewesen war. Sie lernten eine Menge von ihr, was den Umgang mit
Waffen anbelangte. Mit ihm jedoch allein zu sein, das vermied sie konsequent, und dieser Stachel saß schmerzhaft tief in seiner
Seele. Schon der Gedanke daran peinigte Skip, doch gleichermaßen gestand er ihr zu, dass es so möglicherweise am besten war.
Alles war einfacher, wenn er sie nicht allzuoft sah. Und so fürchtete er die Zeit, da er sie wieder Tag für Tag um sich hatte;
jene Zeit, da sie wieder als kleine Reisegruppe unterwegs waren. Zugleich aber verzehrte er sich seit der Nacht der Ulaijim
danach, sie wieder berühren und in den Arm nehmen zu können, ihren heißen Atem an seiner Wange zu spüren und ihren rasend
machenden sinnlichen Duft zu atmen und zu schmecken. Wie sehr ihn die Macht dieses neuen Empfindens, das niemals gestillt
werden konnte, überraschte! Es gab Zeiten, da fühlte er sich so ungeheuerlich schwach und kannte nur einen verzweifelten Wunsch
– dass sie doch in seine Richtung sehen möge; aber das geschah nie. Kara blieb ein fernes Phantom, und war sie ihm nahe, dann
umgab sie sich mit ihrem Panzer aus Eis und Frost.
Wie Erle und Ellah war es auch Skip zur Gewohnheit geworden,
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