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Das erste Schwert

Titel: Das erste Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kashina
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solchen Fall hätte die schützende
     Verhüllung den Diebstahl gewiss für Monate getarnt.
    Doch alles, was ihrerseits in dieser Sache vorgebracht wurde, scheiterte wieder und wieder an einem einzigen unüberwindlichen
     Wort:
Tradition.
Das Buch hatte seinen Platz auf diesem Podest inmitten dieses Ratsgemachs des Inneren Zirkels, seit es ehedem in den Ruinen
     der Alten Welt gefunden worden war. Nach der Flucht der Bewahrer aus der Kronstadt war das runde Gemach exakt nach dem Vorbild
     der alten Räumlichkeiten wiederhergestellt worden. Hier sollte das Buch verbleiben, bis seine Zeit gekommen war.
    Eyandala seufzte unter der Last jener Erinnerungen, die damit einher kamen. Es hatte nichts gefruchtet, sie daran zu erinnern,
     dass der Orden allein aus einem einzigen Grund existierte – jenem nämlich, die
sichere
Verwahrung des Buches zu garantieren. In den alten Tagen des Shandorianischen Reiches wurden sie
Bewahrer des Wissensbuches
genannt und waren ein heiliger Orden, bestehend aus Menschen, die
allem
entsagt und sich dem Alterungsprozess und darüberhinaus gar der Fähigkeit, Nachkommen zu haben, entzogen hatten, um sich einzig
     dem Studium dieses Buches zu widmen und sicherzustellen, dass die auf seinen Seiten niedergelegten, unbezahlbaren Informationen
     eine angemessene Verwendung fanden. Über die Jahre hatte sich der Bedarf an Informationen beständig verringert, bis er schließlich
     gänzlich zum Erliegen gekommen war. Dem Wandel der Zeiten und des Anspruchs folgte allmählich der Wandel des Ordensnamens;
     aus
Bewahrer des Wissensbuches
wurde
Bewahrer des Buches
und schließlich
Bewahrer
– ganz jener von manchen als
modern
gepriesenen Entwicklung folgend, die Namen und Bezeichnungen allesamt so verkürzte, dass sie auch für das weniger gebildete
     Volk noch verwendbar waren.
    |415| Vor den Heiligen Kriegen war der Orden ständiger Gastgeber unzähliger Gelehrter und Wissenskünstler gewesen. Aus allen Himmelsrichtungen
     hatten sie zu ihnen gefunden und die Geheimnisse des Buches studiert und verinnerlicht – mit dem Ziel, das Leben der Menschen
     besser zu machen. Heutzutage, unter der neuen Herrschaft der Kirche, da selbst die Benutzung ganz gewöhnlicher Bücher eingeschränkt
     war – aus Angst, verbotenes Wissen könnte zu den Volksmassen durchsickern und wieder
Allgemeinwissen
werden   –, heutzutage war der Besucherstrom versiegt. Der Verbleib des Buches war in Vergessenheit geraten und, mehr noch, seine Existenz
     galt vielen als bloße Legende.
    Diese Verschleierung war Resultat eines über Generationen wohlüberlegt durchgeführten Planes; Eyandala wusste es nur zu genau.
     So sollte letzten Endes sichergestellt sein, dass niemand außer den Priestern mehr zu den Geheimnissen des Buches Zugang hatte
     – und alles wäre tatsächlich genauso gekommen, hätten die Bewahrer mitgespielt. Doch stattdessen waren sie mit dem Buch aus
     Tandar geflohen – in die Ödnis der Steinernen Grate, in die dort im Geheimen erbaute Weiße Zitadelle, und hatten sie zum neuen
     Ordenssitz ausgerufen. Nach wie vor war das Mysterium dieses Ortes nicht gelüftet; sämtliche Angehörige des Ordens waren einer
     ganz speziellen Konditionierung unterzogen – und starben, sobald sie unter Folter nach der Heimstatt des Ordens befragt wurden.
    So wurde der Grundstein der Rivalität zwischen dem Orden und der Kirche gelegt, eine Rivalität, die sich mittlerweile über
     viele andere Einflussbereiche erstreckte – bis hin zu den Bemühungen der Bewahrer, zumindest einen Teil jener Blutlinien und
     Erbanlagen zu retten, die von der Kirche zur Ausmerzung freigegeben waren. Denn wie sollte das Menschengeschlecht sich insgesamt
     weiterentwickeln, wenn jede neue, vielversprechende Fähigkeit mit demjenigen zu Grabe getragen wurde, dem sie gegeben war?
    |416| Eyandala vernahm ein Räuspern, und jetzt erst wandte sie sich dem Rund der fünf erwartungsvollen Gesichter zu. Alle waren
     sie gekommen, bis auf einen. Egey Bashis Platz zu ihrer Rechten war leer.
    Sie kräuselte die Stirn und schickte dem Magister ihre stillen Gedanken, wo auch immer er sich nun befinden mochte. Sie wusste,
     dass er, sollte er dort sein, wo sie ihn vermutete, alle ihre guten Wünsche gebrauchen konnte. Ein eisiger Griff der Sorge
     malträtierte ihre Brust, bis sie kaum dem Schlagen des Herzens mehr Platz zu gewähren schien. Sie zwang ihre Gedanken zur
     Disziplin.
    »Hiermit ist der Rat der Zirkel ordentlich einberufen«, sagte sie mit

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