Das erste Schwert
ließ sich kein zweites Mal bitten. »Carmina und ich arbeiteten an einer neuen Substanz zur Unterstützung und Verstärkung
der Gedankenkontrolle, als
sie
hereinkam –« Sie nickte geringschätzig zu Bernina hin. »Dann erfolgte eine Explosion. Eine
Explosion
, Mutter Bewahrerin, im Laboratorium! Warum konnte sie uns nicht einfach nach dem Elixier
fragen
?«
»Ich bin nicht dafür verantwo–«, protestierte Bernina – und wurde von Adara mit triumphierendem Blick zum Schweigen gebracht.
Ihr
war das Wort erteilt und niemand würde ihr dieses Recht beschneiden. Bernina senkte das Haupt.
»Als wir den Brand gelöscht hatten, war die Substanz verschwunden, und nicht lange darauf ersuchte ein Gelehrter des Äußeren
Zirkels nach den entsprechenden Mitteln, um ein telepathisch begabtes Kind testen zu können. Was für ein zufälliges Zusammentreffen!«
Adaras Augen flammten, und ihre Haare wogten und ringelten und wanden sich umeinander, bis sie ihr in zwei dicken Zöpfen über
die Schultern hingen.
Eyandala wandte sich Bernina zu und hob auffordernd die Hand.
Auf dieses Geheiß hin verteidigte sich Bernina: »Ich bin nicht verantwortlich für die Explosion!«, beteuerte sie. »Ich |422| kam, um mir eine mit dem Elixier Ghaz Shalan gefüllte Phiole zu holen. Wahrscheinlich habe ich versehentlich das neue Elixier
mitgenommen.«
»Und es dann anschließend versehentlich Eurem Gelehrten gegeben?«, rief Adara aus. »
Das
willst du uns weismachen?«
»Wir
teilen
, was wir haben«, versetzte Bernina spitz. »Anders als jene, die im Laboratorium des Inneren Zirkels arbeiten,
teilen
wir im Äußeren Zirkel, was wir haben.«
»Genug!«, befahl Eyandala. »Jeder, der in diese Sache verwickelt ist, wird angemessenes Gehör finden. Ihr scheint gänzlich
vergessen zu haben, dass wir allesamt auf der gleichen Seite stehen!«
Sie musterte sie mit schneidendem Blick, und ein jeder entspannte sich und lehnte sich zurück. Der seidige Stoff der weißen
Roben raschelte und flüsterte. In nicht wenigen Augen blitzten Lichtspiegelungen der vom Kuppelfenster hoch droben einfallenden
Helligkeit. Eyandala nahm es als Zeichen dafür, dass sie alle wieder zur Besinnung kamen. Aus den Augenwinkeln gewahrte sie
gar, wie Adaras Zöpfe sich auflösten, sodass die Haare wieder offen in schwarzer Flut über ihre Schultern ausgebreitet lagen.
Eyandala unterdrückte ein Frösteln.
»Kommen wir also zu einem Thema, das wirklich unerfreulich ist – das Intrigenspiel um das königliche Erbe nämlich«, sagte
sie in die Stille hinein. »Der Allheilige Vater Haghos präsentierte dem Hohen Konzil einen gewissen Hochgebieter Edmond, der,
soviel sei eingestanden, eine ganz unglaubliche körperliche Ähnlichkeit mit den Herzögen des Hauses Ellitand aufweist. Allerdings
hege ich keinen Zweifel daran, dass hierbei von Menschenhand nachgeholfen wurde – wie auch immer. Alles an jenem seitens der
Kirche so überraschend aus dem Hut gezauberten jugendlichen Thronerben wirkt auf eine schreckliche Art und Weise unecht |423| und, mehr noch,
nichtmenschlich.
Es darf nicht sein, dass er König Daegar auf den Thron nachfolgt!«
Alle nahmen es zur Kenntnis, blass und mit fest zusammengepressten Lippen. Xanedi On war es, der die ungute Stille mit einem
Räuspern brach. »Gibt es Neuigkeiten aus den Waldlanden?«, fragte er, äußerlich ganz beherrscht.
Eyandala holte tief Luft. »Wir haben Grund, zu glauben, dass der Hochgebieter Roderick getötet wurde, bevor er das Päckchen
übergeben konnte«, führte sie aus und meinte, das runde Ratsgemach noch dämmriger werden zu sehen. »Wir können nur hoffen,
dass unserem zweiten Boten mehr Erfolg beschieden ist. Und müssen trotzdem auf das Schlimmste vorbereitet sein.«
Sie wartete, bis die Woge aus Gewisper und Raunen verebbte.
»Es gibt Anzeichen dafür, dass nach wie vor alles unter Kontrolle ist. Weit und breit waren in den Seengebieten keine Vorbereitungen
für einen Angriff auf unseren Orden festzustellen; daraus lässt sich schließen, dass weder das erste Schwert noch die seinen
Griff verhüllende Karte der Bewahrer in Feindeshand gefallen sind. Somit bleibt also zu hoffen, dass der Majat in unseren
Diensten seine Mission erfolgreich zu Ende bringen wird. Unglücklicherweise haben die Majat eine ganz eigene Art, die Dinge
anzugehen. Wir können mit dem Mann nicht in Kontakt gelangen, bis sein Auftrag zur Gänze erfüllt ist.«
Die Lippen der jungen Olayana
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