Das erste Schwert
ruhiger, befehlsgewohnter Stimme. Fünf Häupter neigten
sich und bekundeten so ihre Zustimmung.
»Es gibt viel zu besprechen, doch zuvor verlange ich eine Berichterstattung über Vorgänge und Vorfälle während meiner Abwesenheit.
Daran anschließend werde ich von meiner Mission erzählen.«
»Wird sich Magister Egey Bashi denn nicht zu uns gesellen, Mutter?«, fragte Olayana, Initiierte des Äußeren Zirkels. Sie war
das jüngste Mitglied des Rates – ein Mädchen noch, mit sommersprossigem Gesicht, hellbraunen Haaren, schelmisch dreinblickenden
Augen und einem, wie es schien, brennenden Bedürfnis danach, ungeachtet jeder Reihenfolge zu reden. Einhundertsechzig Jahre
alt war sie bei ihrer Initiierung gewesen, jedoch sah sie keinen Tag älter als zwanzig aus.
Die Mutter Bewahrerin bedachte sie mit einem kalten Blick. »Nein«, gab sie zur Antwort und wartete, bis das Mädchen den Kopf
senkte. Dann erteilte sie Xanedi On, Magister des Äußeren Zirkels, mit einem Nicken das Wort.
Der Magister erhob sich und hüstelte, um seine Stimme zu klären. Er sah wie ein Vierzigjähriger aus, doch Eyandala kannte
sein wahres Alter – fast fünfhundert Jahre. Sie erinnerte |417| sich gar an jenen Tag, da er an den Toren stand und um Aufnahme in den Orden bat, ein nervöser Junge mit durchdringend loderndem
Blick in den dunkelgranatroten Augen. Dieser Blick war ihm bis heute zu eigen, obwohl sein Erscheinungsbild sich vollständig
verändert hatte. Einen Bart trug er nun, und lange Haare, wie ein ehrwürdiger alter Weiser.
Xanedi On musterte kurz die Anwesenden ringsum und sprach: »In einem Hirtendorf wurde ein Kind geboren, Mutter, von dem wir
annehmen, dass es zu einem echten Gedankenleser heranwachsen wird.«
»Ach!« Eyandala war neugierig gemacht. Gedankenleser waren äußerst gesucht in diesen Tagen, die Befähigung an sich jedoch
vermochte man an einem Neugeborenen noch immer nicht mit absoluter Sicherheit auszutesten.
»Einer unserer Gelehrten glaubt, eine Testsubstanz entwickelt zu haben, die fehlerfreie Resultate erbringt.« Xanedis Gesicht
zeigte ein zufriedenes Götzenlächeln.
»Das Kind wurde vor den Priestern in Sicherheit gebracht – ins Sanktuarium«, fügte Bernina hinzu, Gelehrte des Äußeren Zirkels.
»Wir sind bereits auf der Suche nach einem geeigneten Heim.«
Bernina war eine große, mütterlich wirkende Frau, die ihre Aufgabe, Blutlinien zu erhalten, persönlich nahm. Ihres Titels
zum Trotz war sie nicht allzu tief in wissenschaftliche Arbeit verstrickt; vielmehr wirkte sie ganz aus Nächstenliebe – sie
rettete Leben, die andernfalls verloren wären.
Vielleicht
, sann Eyandala einen Moment lang,
ist genau das die einzig richtige Herangehensweise.
Wer wollte darüber richten, was wichtiger war – Menschlichkeit oder das für die Menschheit Wesentliche?
Xanedi Oni machte eine abschließende Geste mit der rechten Hand und griff seine Berichterstattung wieder auf – ganz und gar
sachlich und nahezu schroff. »Einmal mehr kam |418| eine Pilgergruppe über den Passweg. Unsere Kundschafter geleiteten sie fort.«
Der Tag wird kommen
, dachte Eyandala,
da er nur noch in Stichworten zu uns spricht.
Jedoch unterdrückte sie ein Lächeln und nickte ernst genug. In diesem Stadium des Konflikts mit der Kirche mussten die Bewahrer
äußerste Vorsicht walten lassen; käme es
gerade jetzt
zur Entdeckung der Weißen Zitadelle, so wäre dies eine Katastrophe. Genau zu diesem Zweck waren einstmals die Techniken der
Gedankenkontrolle entwickelt worden, wiewohl sie sich zwischenzeitlich auch bei vielen anderen Gelegenheiten bewährt hatten
– erst kürzlich wieder, bei Egey Bashis und ihrer Flucht aus Tandar. Doch brauchte es nur einen, der die Gabe in sich trug,
gedanklicher Kontrolle widerstehen zu können, und das Ringen um die Zukunft dieses Reiches mochte eine entscheidende Wendung
nehmen. So gesehen, konnte man von Glück sprechen, dass die Priester alles in ihrer Macht stehende unternahmen, um sämtliche
neuen Talente auszumerzen, während die Bewahrer alles in
ihrer
Macht stehende unternahmen, sie zu erhalten.
»Gibt es Neuigkeiten bezüglich des Inneren Zirkels?« erkundigte sie sich ihrer unbestimmten Angst zum Trotz mit energischer
Stimme und richtete ihren Blick auffordernd dem Geisteswissenschaftler Rom entgegen. In Egey Bashis Abwesenheit gehörte es
zu seinen Vorrechten, hierüber Bericht zu erstatten.
Er beugte sich ein wenig vor, das
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