Das erste Schwert

frei, und auch der lange Hals war verwundbar entblößt.
    »Du erwartest doch wohl nicht, dass sie zu diesen Kleidern einen Zopf trägt?«, sagte Kara amüsiert. »Dann hätten wir sie als
     Cha’ori verkleiden müssen.«
    Erle, der bis jetzt nur geschwiegen und gestarrt hatte, hauchte mit dünner Stimme: »Wie habt ihr es gemacht?«
    »Kara war’s, mit dem Messer.« In Ellahs Augen tanzten winzige Koboldfunken; doch unter Erles sprachlosem Gaffen veränderte
     sich ihre Miene – und nun blickte sie verlegen.
    »Beeilen wir uns!«, herrschte Kara sie allesamt an – als seien sie nichts als Kinder. »Über die besten Haarschnitttechniken
     könnt ihr euch später noch austauschen! Stopft eure Hemden hinter den Hosenbund!«
    »Aber   –«, stöhnten Erle und Skip gleichzeitig.
    »
Hinter den Hosenbund
. Und zwar schnell! Oder wollt ihr, dass ich das für euch mache?«
    Sie gehorchten in fliegender Hast. Skip fluchte. Es fühlte sich ungewohnt an, sperrig an den falschen Stellen – aber auch   ...
aufgeräumt.
Und man kam sich
noch
tatendurstiger vor.
    »Nun die Westen!«, kommandierte Kara. »Gürtel zu, Westen knöpfen. Gut.«
    Da es keinen Spiegel gab, in dem das Ergebnis zu betrachten gewesen wäre, spähte Skip zu Erle hin. Die Weste über dem locker
     sitzenden Hemd betonte die Schultern, der breite Ledergürtel brachte die Taille vorteilhaft zu Geltung und machte sie schmaler.
     Skip strich sich ein Stäubchen von der Hose. Er konnte nur hoffen, dass er zumindest halb so umwerfend gut aussah wie sein
     stattlicher Bruder.
    |454| Die Hosen saßen straff und zwickten und zwackten an den unmöglichsten Stellen, doch schon nach den ersten linkischen Schritten
     gab sich das. Die Hosen
waren
bequem.
    »Die Dolche in die Gürtelscheide. Die Mäntel über die Schultern. Bestens – gehen wir.«
    Eingehüllt in ledriges Knirschen und Knarren stiegen sie die Treppe hinab und betraten die weitläufige Gaststube.

Das Abendessen
    Tabakrauch und gedämpftes Stimmengewirr schlugen ihnen entgegen. Wohl an die zwanzig Leute hatten es sich im Licht trüber,
     an den Wänden montierter Laternen an derb gezimmerten Tischen so bequem wie möglich gemacht. Reichlich viele in Mäntel gehüllte
     Männer befanden sich darunter, die sich abseits niedergelassen hatten. Sogleich fühlte Skip eine gewisse Aufregung in sich.
     Wie sollten sie unter all diesem Volk jenen Mann ausfindig machen, den sie suchten? Die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen und
     ganz entschlossen ihrem Abendessen hingegeben saßen sie allesamt und machten nur allzu deutlich, dass neugierige Fragesteller
     unerwünscht waren.
    Wenn Meister Gern durch ihr Auftauchen in der Wirtsstube überrascht wurde, so verriet er dies mit keinem Wimpernzucken. Seine
     kleinen, niemals blinzelnden Äuglein blieben nur so lange – und ohne wahres Interesse – auf sie gerichtet, wie es dauerte,
     sie zu einem Tisch in der Mitte des Raumes hin zu winken, von dem aus sie alles und jeden im Auge behalten konnten, ohne selbst
     im Wege zu sein. Jedoch entging es Skip nicht, dass der Wirt gleich darauf Kara noch einen fragenden Blick zuwarf – und ein
     Nicken zur Antwort erhielt.
    |455| Unter nicht wenigen neugierigen Blicken nahmen sie Platz. Augenblicklich kam statt des üblichen mehr oder minder hübschen
     Serviermädchens ein dürrer, nervöser Bediensteter herbeigeschlurft und leierte herunter, was es zu essen gab. Sie hatten die
     Wahl zwischen Ziegenfleischeintopf, Backfisch und scharf gewürztem Echsenfleisch. Skip entschied sich für Ersteres, Ellah
     bestellte sich Fisch und Kara das Echsenfleisch. Nach anfänglicher Unschlüssigkeit zog auch Erle die Sicherheit eines vertrauten
     Gerichts vor. Skip sonnte sich in dieser Gewissheit – bis die Speisen aufgetragen wurden.
    Nun starrte er, genau wie Erle, unbehaglich auf den vor ihm stehenden Teller.
    »Der Eintopf schmeckt keinesfalls so übel, wie er aussieht«, ermutigte Kara sie. »Kostet nur. Er ist nach einem berühmten
     Tahr Abad-Rezept zubereitet.«
    »Was ist das für eine Farbe?«, ächzte Erle und seine Mundwinkel zuckten angewidert.
    »Ocker. Kommt von den Gewürzen. Weit verbreitet im Süden.«
    »So, so.« Erle nickte angestrengt.
    »Und was ist mit diesen   ...
Klümpchen
?«, erkundigte sich Skip zaudernd, da ihm auch nach langem Überlegen kein besseres Wort einfallen wollte. Er nahm den Löffel
     und rührte in den Sonnenuntergangsfarben auf seinem Teller.
    »Kräuter«, antwortete Kara. »Ich bin