Das erste Schwert
schien es gut zu munden. Mehr und mehr wirkte sie entspannt, und wenn sie sich bewegte, dann beinahe träge. Es wollte
Skip so vorkommen, als zeige das Bier seine Wirkung, doch schon im nächsten Moment fielen ihm ihre Augen auf – und der Blick,
den sie einem der Kapuzenmänner zuwarf – und er begriff. Sie war so hellwach und auf der Hut wie stets. Natürlich.
Bald darauf erhob sich jener, den sie ins Auge fasste, von seiner Bank und kam auf dem Weg zum Schanktresen an ihrem Tisch
vorbei. Mit einem Schlag kehrte Skips Besorgnis zurück – doppelt so stark wie zuvor.
Es ist die Art und Weise, wie dieser Mann sich bewegt,
durchraste es ihn.
Genauso fließend geschmeidig wie Kara, aber mit Bewegungen von noch größerer Präzision und Schnelligkeit.
Fast wollte es Skip scheinen, als sei er von seinem Platz an jenem Tisch verschwunden und gleich darauf dicht bei ihnen wie
aus dem Nichts heraus wieder aufgetaucht. Der Mann trug einen schäbigen Reisemantel und hatte trotz aller Behaglichkeit im
Wirtsraum die Kapuze nicht zurückgestreift, sodass Skip, wie er nun vorbeiging, lediglich intensiv funkelnde Augen erkannte,
die mit einem einzigen scharfen Blick alles an ihrem Tisch in sich aufnahmen.
Skip riskierte einen Blick zu Kara hin. Sie sah dem Fremden nicht minder intensiv hinterdrein. Angespannt. Etwas in ihrem
Gesicht steigerte Skips Unruhe endgültig bis ins kaum mehr Erträgliche. Fast schien es, als fürchte sie sich.
|459| Skips Gedanken verwandelten sich in einen Aufruhr.
Hat sie ihn als Majat-Assassinen erkannt? Gibt es irgendwo an ihnen verborgen ein Zeichen, das sie verrät? Hält sie diesen
Mann für unseren Verfolger?
»Rührt euch nicht vom Fleck!«, zischte sie plötzlich. »Ich muss etwas überprüfen.«
Sie schlenderte zur Schanktheke hinüber – geradewegs dorthin, wo der Mann soeben, in ein Gespräch mit Meister Gern vertieft,
nach dem vor ihm stehenden Ale griff. Kara bewegte sich langsam wie nie zuvor, mit seltsam unsicheren Schritten, als wahre
sie nur unter Mühen noch ihr Gleichgewicht.
»Sie ist betrunken!«, sagte Ellah ungläubig. »Dabei hat sie doch bestimmt nicht mehr getrunken als ich!«
Skip schüttelte den Kopf. »Sie ist nicht betrunken«, widersprach er ruhig. »Ich glaube, sie hat irgend etwas vor.«
Sie erreichte den Kapuzenmann, stolperte gegen einen Stuhl, suchte ihr Missgeschick noch zu mildern und ihr Gleichgewicht
wiederzuerlangen. Und stieß mit der wirbelnden linken Hand den Bierkrug des Fremden um. Schäumendes Bier spritzte.
Doch erst das, was
nun
geschah, ließ nicht nur Skip mit offenem Mund nach Luft schnappen. Noch nie hatte er erlebt, dass jemand mit solcher Schnelligkeit
reagierte. Beiläufig, nahezu träge, wie es den Anschein hatte, streckte der Mann die Hand aus, fing den Krug mitten im Fall
auf und stellte ihn, ohne dass noch ein weiterer Tropfen Bier vergeudet wurde, auf den Tresen zurück. Dann lächelte er und
nickte Kara zu, vermutlich als Antwort auf ihre Entschuldigung.
»Gütiger Shal Addim!«, hauchte Erle. »Habt ihr das gesehen?«
»Sie
hat
ihn überprüft«, murmelte Ellah leise. »Und er ist ein Majat-Assassine. Niemand sonst vermag sich so zu bewegen! Oh, großer
Shal Addim, was sollen wir jetzt bloß tun?«
|460| Sie beobachteten, wie Kara mit Meister Gern ein paar Worte wechselte und sich auf wackeligen Beinen an den Rückweg wagte.
Skip atmete schneller als je zuvor – bis er kaum mehr ruhig sitzen konnte; bis alles in ihm
Lauf weg, lauf weg, lauf weg!
schrie. Der Mann mit der Kapuze warf Kara noch einen nachdenklichen Blick zu, bevor er seine Unterhaltung mit Meister Gern
wieder aufnahm.
Und er sah Karas Augen auf sich gerichtet, und keine Spur der vorhin noch zur Schau gestellten Verschwommenheit lag mehr darin.
»Verschwinden wir«, zischte sie ihnen zu, kaum dass sie den Tisch erreicht hatte und sich schwerfällig darüberbeugte. Selten
hatte sie etwas nachdrücklicher gesagt, und so stürzten sie allesamt ihr Ale in einem einzigen Zug hinunter und erhoben sich.
Unerwartet legte sich Karas Arm um Skips Schultern; unerwartet lehnte sie sich schwer an ihn. Ihre Nähe, ihre Wärme, ihr Duft
– das alles war beinahe mehr, als er ertragen konnte. Ein Gewittersturm tobte sich in ihm aus, und als einzige Rettung blieb
ihm, mit eiskalten Lippen lautlos ihren Namen zu formen:
Kara.
»Spiel mit!«, wisperte sie ihm ins Ohr. Heiß war ihr Atem. Benommen tat er einen ersten Schritt. Sein
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