Das erste Schwert
sich über ihn. Es schien, als senke
sich endlose Nacht herab.
»Es freut mich, dass Ihr Euch besser fühlt, Sturmgebieter«, sagte er. »So werden wir uns nachher also im Großen Tempel wiedersehen.
Meine Diener werden alles Nötige veranlassen.«
Ohne eine Entgegnung abzuwarten, wandte er sich ab und verließ den Raum.
Auf einem flachen Schindeldach warfen sie sich der Länge nach hin, verharrten reglos und spähten in jenen kleinen Innenhof
hinab, der sich tief unter ihnen vor dem Hinterausgang des Großen Tempels auftat. Egey Bashi schmiegte sich zwischen Raishan
und Kara gegen kalten Stein und konnte nicht anders, als sich wie ein ungeschickter Tölpel vorzukommen – viel zu laut meinte
er von Dach zu Dach hierhergepoltert zu sein und viel zu laut polterte ihm auch das Herz in der Brust. Wohingegen ihm die
beiden Majat selbst jetzt, da sie nur bewegungslos ausgestreckt lagen, so tödlich elegant wie Shayil-Yara-Raubkatzen vorkamen.
»Fünfzehn Heilige Krieger«, wisperte Kara. »Mindestens noch einmal vier Dutzend als Eskorte Seiner Heiligkeit im Inneren des
Tempels. Von den Wachen ganz zu schweigen.«
Egey Bashi spähte über das endlos scheinende Spalier hinweg, das sich über den gesamten Hof bis zum Portal des Tempels hinzog.
»Ich befestige das Seil auf dieser Seite des Dachs«, zischelte Raishan. »Wir nutzen das Überraschungsmoment, erledigen sie,
bringen die Jungen hier herauf und verschwinden.«
|581| Sie unterhielten sich über ihn hinweg, als gebe es ihn gar nicht. Doch kümmerte Egey Bashi dies momentan herzlich wenig.
»Die Jungen
und
das Mädchen«, betonte Kara.
Raishans Augen glitzerten.
»Dies ist nicht die Zeit, sentimental zu sein«, warnte er sie.
Sie zuckte die Schultern. »Sie werden nicht mitkommen ohne das Mädchen. Und sie wird ganz bestimmt nicht tatenlos bleiben,
wenn wir die beiden holen. Glaubt mir, ich weiß, wovon ich rede.«
Egey Bashi runzelte die Stirn. »Ihr beiden habt doch wohl nicht vor, es mit
all
jenen Wachen dort unten gleichzeitig aufzunehmen – oder?«, vergewisserte er sich ein wenig fassungslos.
So, wie Kara und Raishan ihn nun ansahen, blickten Erwachsene, deren Unterhaltung von einem Kind gestört wurde.
»Der innere Tempelbezirk ist weitläufig abgeriegelt«, erläuterte sie ihm ganz betont geduldig. »Erinnert Euch. Es gab keine
Möglichkeit, hineinzugelangen.«
Egey Bashi nickte nicht minder geduldig. Die Priesterschaft hatte einen engmaschigen, undurchdringlichen Verteidigergürtel
rings um jenes Verlies gelegt, das
die runde Kammer
geheißen wurde. Tatsächlich schien es nur diese eine Möglichkeit zu geben: nämlich anzugreifen, sobald die Kinder in den Tempel
geleitet wurden – ungeachtet dessen, was Haghos dort mit ihnen anzustellen gedachte.
Egey Bashi berührte kurz die über seinen Nasenrücken verlaufende weiße Narbe und grinste: »Will mir ganz danach aussehen,
als könntet Ihr nun meine Hilfe gebrauchen«, stellte er fest.
Abermals starrten sie ihn an. Raishan machte Anstalten, etwas zu erwidern, doch entstand in diesem Augenblick unter ihnen
vielhundertfache Bewegung.
|582| Eine große Priesterschar eskortierte einen hochgewachsenen, majestätischen Mann mit weißen Haaren. Einen Reinblütigen.
»Herzog Evan Dorn!«, flüsterte Egey Bashi ungläubig. »Ich –«
Die Prozession überquerte den Hof und verschwand im Schatten der steinernen, das Tempelportal stützenden Shal Addim-Kolosse.
Sofort darauf näherte sich eine zweite Prozession. Dieses Mal war die Gruppe der in schwarze Kapuzenroben gekleideten Priester
inmitten der Stahlkrieger noch weit größer. In ihrer Mitte vermochten Egey Bashis scharfe Augen die drei jungen Walder auszumachen
– in abgerissener Kleidung, wie sie in den Seengebieten modern sein mochte; ihre Reisemäntel waren mit Flicken versehen.
Niemals zuvor in der Geschichte der noblen königlichen Häuser hatte es so etwas gegeben – dass einem Ghaz Alim-Kind gestattet
wurde, das Erwachsenenalter zu erreichen. Niemand konnte vorhersehen, wie sich die Verfluchte Gabe auf das spätere Aussehen
auswirkte. Keiner jener drei Jugendlichen sah auch nur im Entferntesten wie einer der Herzöge von Dorn aus. Zwei schritten
vorneweg – sie hatten einen dunkelbraunen Schopf, während die Haare des dritten, ihnen nachfolgenden, so gelb wie reifer Weizen
leuchteten. Jedoch nicht einmal Egey Bashis Adlerblick vermochte aus dieser Ferne ihre Augenfarbe zu erkennen.
Auch
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