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Das erste Schwert

Titel: Das erste Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kashina
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diese Prozession verschwand in den dunklen, hallenden Tiefen des Großen Tempels, und die schweren Torflügel schlossen
     sich hinter ihr mit dumpfem Schlag. Nun kam Leben in die beiden Majat.
    »Jetzt«, sagte Kara.
    »Wartet!«, rief Egey Bashi aus und hielt sie mit eisernem Griff am Ellbogen fest.
    |583| Mit zornfunkelnden Augen fuhr sie zu ihm herum. »Ihr wolltet uns nicht behindern!«, fauchte sie.
    »Nichts dergleichen haben wir besprochen!«, sagte er kopfschüttelnd, nun ebenfalls frostig. »Vielmehr bot ich an, euch mit
     dem einen oder anderen Trick beizustehen. Ich denke, jetzt ist
meine
Zeit gekommen.«
    Sie wechselte mit Raishan einen Blick; kein Wort fiel – sie verständigten sich auf eine Art und Weise, die sich normalen Sterblichen
     nicht erschloss.
    Raishan lächelte sichelschmal. »Also gut. Was schlagt Ihr vor, Magister?«
    »Ich kann dafür sorgen, dass Euch jene Männer dort unten in den Tempel einlassen, ohne Alarm zu geben. Somit hättet Ihr gegen
     mindestens vierzig Gegner weniger zu kämpfen. Obgleich ich nicht bezweifle, dass Ihr sie besiegen könnt, so glaube ich doch
     auch, dass es von einigem taktischen Vorteil ist, den Tempel ein wenig unauffälliger zu betreten und ohne der versammelten
     Menge unser Kommen lauthals zu verkünden.«
    »Und wie wollt Ihr das anstellen?«, flüsterte Raishan.
    »Ich bin ein Bewahrer«, antwortet Egey Bashi schlicht. »Ich kenne eine Methode, den Verstand anderer in meinem Interesse zu
     beeinflussen und zu kontrollieren. Mehr müsst Ihr nicht wissen, Aghat.«
    Die beiden Majat wechselten einen weiteren Blick.
    »Also – ans Werk, Magister!«, raunte Raishan ihm schließlich zu.
    Mit einem Seufzen richtete Egey Bashi sich auf die Ellbogen auf, zwinkerte zuerst Raishan, dann Kara zu, ließ sich über den
     Dachrand gleiten und in die Tiefe fallen. Und landete, begleitet von einem kurzen, kaum wahrnehmbaren Geflatter seiner Robe,
     in dem mit Wächtern überfüllten Innenhof.

|584| Ghaz Alim
    Evan Dorn starrte die beiden an Händen und Füßen vor ihm auf dem steinernen Boden knienden Walder-Jungen an.
Fremde.
    Jener zur Linken war größer. Er hatte ein sonnenverbranntes, offenes, gutgeschnittenes Gesicht, goldblonde Haare und graue
     Augen, die im Halblicht des Tempels nahezu blau schimmerten. In der Geschichte der Familie Dorn war es wohl schon vorgekommen,
     dass Kinder mit blondem Haar und hellgrauen Augen geboren wurden, doch es führte eindeutig zu weit, diesen Dorfjungen für
     einen Adligen zu halten.
    Und was denjenigen zur Rechten anbetraf –
    Seine Haare waren kastanienbraun, nicht einmal entfernt so schwarz wie das der königlichen Familie der Westlande. Ihn einen
     Edlen zu heißen, konnte nur ein übler Scherz sein, wenngleich er doch eine angemessen bleiche Haut und Augen in tiefem Azurblau
     vorzuweisen hatte. Inzucht über Generationen hinweg – kein Edelmann konnte ein Kind mit Haaren von solcher Farbe zeugen!
    Die beiden knieten vor ihm in heiliger Scheu, wie’s nicht anders zu erwarten war von Waldern, die sich zum ersten Mal einem
     königlichen Herzog gegenübersahen. Sie taten ihm leid.
    Evan Dorn trat einen Schritt zurück und wandte sich Haghos’ Schattengesicht zu seiner Rechten zu und zischte: »Anzunehmen,
     einer dieser Dörfler könnte von königlichem Blut sein! Ihr müsst den Verstand verloren haben, Heiligkeit!«
    Die Kapuze schien plötzlich ein eigenes Leben zu führen, wie auch die Schatten darunter – es raunte und wogte, dort, wo bei
     einem Menschen das Gesicht zu sehen gewesen wäre. |585| Wie aus tiefen Katakomben wehte Haghos’ Stimme heran. »
Mein
Wille ist es, der zählt, Eure Erhabenheit!« Nun schien das Dunkel wie alte Milch zu gerinnen.
    Evan Dorn holte tief Luft. Es war zu lächerlich! Sie hatten ihn von Tandars Straßen weg hierher, nach Aknabar, verschleppt
     –
deshalb?
    Seine Heiligkeit vollführte, zur Haupthalle des Tempels hingewandt, eine befehlende Geste. Sogleich vernahm man dort in der
     Dämmernis kurz ein Metallklirren, dann trat einer der Priester gemessenen Schrittes herbei. In den feierlich ausgestreckten
     Händen, über die er wie zum Schutz die Robenärmel gezogen hatte, trug er einen länglichen Gegenstand.
    Es war ein in einer Scheide geborgenes Schwert.
    Evan Dorn entging nicht, dass des Priesters Hände leicht zitterten und er dies nach besten Kräften zu verbergen suchte.
    Priestern ist es untersagt, eine Waffe auch nur zu berühren,
erinnerte er sich.
Trotzdem –

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