Das erste Schwert
»Wir vergeuden Zeit«, sagte er. »Es war mir ein Vergnügen,
Magister.« Schon wollte er ins Freie hinaustreten – doch Egey Bashi legte ihm geschwind eine Hand auf die Schulter.
Stählerne Muskeln spannten sich unter dem Tuch der Robe. Ganz eindeutig war es der Majat nicht gewohnt, angefasst zu werden.
»Ich komme mit Euch!«, sagte Egey Bashi schlicht.
Raishan wandte sich halb um, die Kapuze glitt zurück – und so vermochte Egey Bashi sein Gesicht schließlich doch noch zu sehen.
Eine Patina aus grausamer Härte, Kompetenz und Tüchtigkeit lag über seinen ebenmäßigen Zügen. Wie Karas Gesicht, so war auch
dieses hier faszinierend anzusehen.
Egey Bashi schenkte ihm ein verzerrtes Lächeln. »Diamanten oder nicht – ihr beiden seid den Männern Seiner Heiligkeit zahlenmäßig
weit unterlegen«, gab er zu bedenken. »Außerdem kenne ich den einen oder anderen Trick und kann so durchaus eine Hilfe sein.«
»Ach, wirklich?« Noch etwas gesellte sich jetzt der Patina auf Raishans Zügen hinzu: Humor. Er lachte in sich hinein, ganz
kurz nur; schon im nächsten Moment war er wieder |573| ernst und in Gedanken wohl bereits unterwegs, ganz auf die vor ihm liegende Aufgabe konzentriert.
Egey Bashi widerstand der Versuchung, ihm zu demonstrieren, was er meinte. »Man wird nicht ohne Grund Magister des Inneren
Zirkels«, sagte er stattdessen nur. »Im Kampf mag ich einem Diamanten kein ebenbürtiger Gegner sein, aber ich hoffe, Ihr glaubt
mir,
Aghat
, wenn ich Euch versichere, dass sich die Gefahren dieses Ortes nicht allein auf die Kampfkraft seiner Verteidiger beschränken.«
Raishan zögerte nicht mehr. »Also gut«, räumte er ein. »Ihr könnt uns begleiten, wenn Ihr imstande seid, mit uns Schritt zu
halten,
Magister
.«
Er wand sich ins Freie hinaus und glitt bereits lautlos an der Hofmauer entlang, hin zu jener Seitentür. Von Kara war nur
ein Hauch zu spüren – und zu riechen –, dann hatte auch sie den Alkoven verlassen. Zu Schatten in der Abenddämmerung verwandelt waren sie beide, und kaum mehr
auszumachen.
Egey Bashi zerrte sich die Kapuze über den Kopf und folgte ihnen.
Skip drückte sich so fest gegen die steinerne Tür, dass sein Rücken schmerzte. Es gab kein Versteck in dieser runden Kammer
ohne Fenster und Türen, und nicht die geringste Aussicht darauf, der heranschlurfenden Gestalt zu entkommen.
Nur halb war er sich Erles bewusst, der sich, kaum dass er sein Entsetzen bemerkte, schützend vor ihn stellte, und Ellahs,
die an seine Seite eilte und ihn hilflos am Ärmel zupfte.
»Skip«, sagte sie eindringlich. »Skip, was ist denn?«
Er hörte gar nicht richtig hin.
Der kahlköpfige Mann mit der Narbe verharrte dicht vor Erles drohend aufragender Gestalt. »Walder-Jungen«, krächzte er und
starrte sie der Reihe nach an.
|574| Skip zwang sich, ein wenig von der geheimen Tür abzurücken. Mit geballten Fäusten, innerlich zitternd, stand er – entschlossen,
sich seinem Alptraum zu stellen. Ein heißer Zorn über die eigene Schwäche durchfuhr ihn, und so zwang er sich auch, den Mann
unvoreingenommener zu betrachten.
Er war um vieles älter als in seinen Träumen. Jetzt, da er ihm so nahe war, hohlwangig, mit verkrümmtem Rücken und in dieser
stinkenden Kutte, die um seinen nur mehr aus Haut und Knochen bestehenden Leib schlotterte, fiel es schwer, jenen fanatischen
Priester in ihm zu sehen, der Häuser niederbrannte, mit Pfeilen, Dolchen und Gift hantierte oder einen kräftigen Jüngling
wie ihn unter Wasser drückte und zu ertränken suchte. Und doch – in tausend Nächten hatte er ihn genau so erlebt, mordlüstern
und außer sich vor Hass und der unverrückbaren Entschlossenheit, ihn zu vernichten.
Skip erinnerte sich, oh ja, er erinnerte sich an jedes einzelne panische Hochschrecken aus fiebrigem Schlaf. Und an diese
Augen in den tiefen Höhlen. An ihr eisiges Glitzern. Auch jetzt ängstigten sie ihn. Ein seltsamer Glanz befeuerte sie und
ruhelos zuckte ihr Blick hierhin und dorthin, als sei es ihm unmöglich, sich auf nur einen Punkt zu konzentrieren.
Dann, wie auf einen Befehl aus dem Unsichtbaren hin, stierte der Mann mit der Narbe Skip doch noch ins Gesicht, und etwas
in den Tiefen seiner Augen veränderte sich. Auch er schien nun sein Opfer aus den Traumwelten wiederzuerkennen. Er tat einen
weiteren Schritt nach vorn und berührte Skip am Arm. Dann verlagerte er seinen Blick zu Erle hin.
»Ihr seid zurück«, sagte
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