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Das erste Schwert

Titel: Das erste Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kashina
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diktierte.
    Zur Überraschung aller gehorchte der Seengebieter.
    »Längst schon leben allüberall unter uns viel mehr mit der Ghaz Alim, als Ihr denkt, Seengebieter«, sagte Skip eindringlich.
     »Seine Heiligkeit Haghos war einer davon. Viele weitere sind hier in diesem Saal anwesend.« Er wartete abermals, bis die größte
     Aufregung erstarb, und blieb sorgfältig darauf bedacht, keinen verräterischen Blick in die Runde zu werfen. »Es ist eine Gabe,
     kein Fluch. Niemand wird dadurch imkompetent gemacht oder seiner Herrscherwürde beraubt. Und wenn Ihr auch recht haben mögt
     und ich gleich nach der Kindsprobe hätte sterben müssen – hier und jetzt steh’ ich lebend vor Euch.« Er sah über die Tafel
     hinweg in Ellitands Augen. Er war sich wohl bewusst, wie still es in diesem Saal geworden war und dass alle, selbst Evan Dorn,
     ihn staunend anstarrten. »Doch«, fuhr er energisch fort, »ist diese Debatte vor diesem Konzil irrelevant. Wir sind hier versammelt,
     dem Recht des Herzogs Evan Dorn zur Geltung zu verhelfen – sodass er unser König zu werden vermag. Er trägt die Ghaz Alim
     nicht in sich. Wohl aber alle Qualitäten, die einen wahren König ausmachen. König zu sein, ist sein Geburtsrecht, und längst
     wurde es durch die Schwertprobe eindeutig bestätigt. Dies alles zusammengenommen müsste schon lange genügen, ihn zum König
     auszurufen; doch auch die letzte Bedingung, die Ihr an Euren künftigen Herrscher stellt, ist nun erfüllt. Ein leibhaftiger
     Sohn und Erbe.«
    Immer noch lächelnd sah Skip, wie Ellitand sich wieder setzte und gegen die hohe Lehne zurücksinken ließ.
Geschlagen.
    |633| Aber noch war es nicht ganz ausgestanden, und so nutzte er seinen Vorteil. »Ich weiß«, sagte er, »ein jeder von Euch hohen
     Herren hegt eigene Ambitionen zu herrschen. Doch Ihr, Hochgebieter Daemur, habt zwar eine bildschöne, gewiss hochintelligente
     Tochter – jedoch wurde sie noch nicht dem ersten Schwert zugeführt. Und Ihr, Hochgebieter Macdell, fürchtet es, den einzigen
     Sohn jener dunklen Klinge auszuliefern, und vielleicht aus gutem Grund. So will’s mir also scheinen, dass des Hochgebieters
     Evans Recht ganz und gar als unbestritten akzeptiert wird.« Und damit verbeugte er sich zu Evan Dorn hin, der ihn nur mehr
     hingerissen, überwältigt, beobachtet hatte. »Vergebt mir, Vater«, sagte er, »dass ich so lange geredet hab, wiewohl doch die
     Reihe noch gar nicht an mir war.«
    Vater.
Nun war es also ausgesprochen. Zum ersten Mal. Und verdutzt begriff er, dass es nicht geschehen war, um Eindruck zu schinden.
     Er
fühlte
sich blutsverwandt mit diesem ernsten Mann, in dessen Augentiefen so ansteckend fröhliche Funken tanzten.
    Es herrschte lange Stille am Konzilstisch. Dann ergriff die Mutter Bewahrerin das Wort. »Gedenkt irgendjemand der hier Versammelten
     des Sturmgebieters Anspruch anzufechten?«, stellte sie jene Frage, die seit alters her Tradition war.
    Noch dichter gewoben schien die Stille nun zu sein. Über die Tafel hinweg suchte Skip Ellitands Blick. Und sah den Herzog
     die Augen senken.
    »Wenn das so ist«, räumte die Mutter Bewahrerin ein, »Heil dem König!«
     
    Skip fand Kara schließlich in ihrem Gemach im dritten Stockwerk der Dorn’schen Residenzburg. Sie saß vor dem prasselnden Kaminfeuer;
     ihre Habseligkeiten waren gerichtet, das Reisegepäck stand auf der ordentlich gemachten Bettstatt bereit.
    |634| Auch auf der Krönungsfeier war sie nur als maskiertes Phantom zugegen gewesen, und er hatte es kaum mehr ertragen, sie so
     sehen zu müssen. Er hasste diese Maske; er vermisste es so sehr, ihr Gesicht zu sehen. Und als müsse er noch einmal auf eine
     Probe gestellt werden, die schwerste von allen – hatte er sie in der vergangenen Woche überhaupt nicht mehr zu Gesicht bekommen.
     Nun, da er ihr zum ersten Mal seit einer für ihn unerträglich langen Zeit wieder gegenüberstand, fühlte er sich einfach nur
     glücklich, warm, geborgen in seinem Körper.
    Auf der Türschwelle hatte er innegehalten; jetzt sah Kara auf und erwiderte seinen Blick. Ihr Gesicht war gefasst, wie stets,
     jedoch für einen winzigen Moment zuckte ein Lächeln um ihre Mundwinkel – als sie ihm bedeutete, einzutreten und sich in den
     Sessel neben ihr zu setzen.
    Er durchquerte den großen Raum und gesellte sich zu ihr.
    Seit jener Nacht auf dem Oberdeck der
Glücksgöttin
waren sie nicht mehr allein gewesen.
Jene Nacht
, dachte er,
bevor wir die Heilige Stadt erreichten
.

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