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Das erste Schwert

Titel: Das erste Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kashina
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unnatürlich.
    »So kam’s mir zu Ohren.« Garnald zuckte ungerührt mit den Schultern. »Und das Verfluchte Kind in Eichenhain soll – falls es
     dieses denn gibt – keine Ahnung davon haben, dass es in Wirklichkeit nicht so wie die anderen ist. Weshalb die Priester
alle
Kinder der Probe unterwerfen. Wenn ich hier wohnen würde, hätte ich mir seit gestern doch einige Fragen gestellt. Zum Beispiel:
     Ist mir unlängst etwas Seltsames widerfahren? Haben sich Leute nach mir erkundigt, die ich nicht kenne? Und, falls mein Leben
     kürzlich erst eine befremdliche und unerwartete Wendung genommen hat – bin ich vielleicht derjenige, den die Priester suchen?
     Und, bei |102| der geringsten Wahrscheinlichkeit, dass dem so sein könnte: Soll ich wirklich hierbleiben und warten, bis sie mich holen und
     auf die Probe stellen?« Damit wandte er sich um und verschwand in den Schatten.
    »Erle!«, wisperte Skip und starrte dorthin, wo der Pfuhlgänger eben noch zu sehen gewesen war. »Vielleicht sollten wir uns
     jetzt lieber nicht im Wirtshaus sehen lassen? Was meinst du?«
    Genau in diesem Moment tauchte Ivan auf. Sein rundes Gesicht hatte sich vor Aufregung gerötet; über seiner Schulter hing das
     Zaumzeug einer Reitechse.
    »Toll, was?«, stieß er hervor und umschloss mit einer einzigen gewichtigen Handbewegung das geschäftige Treiben im Hof. »Richtige
     Echsen-Ungeheuer! Sind sie nicht unglaublich? Eine Wache hat mir erzählt, dass sie
drei Mal
so schnell laufen können wie Pferde!« Er wischte sich über die Stirn. »Ach ja«, sagte er. »In der Wirtsstube wartet jemand
     auf euch.«
    »Ja, wissen wir«, entgegnete Erle. »Ein Mädchen.«
    Aber dies brachte ihm nur ein vielsagendes Zwinkern und Kichern ein. »Das wünschst du dir wohl, eh?«, grinste Ivan. »Bist
     gewohnt, dass die Mädchen sich nach dir umdrehen, was? Nein, tut mir leid. Es ist ein Mann. Ein Fremder. Ich würd’ sagen,
     er kommt aus dem Norden. Dunkler Mantel, jede Menge Waffen. Hab ihm gesagt, ihr schaut später bestimmt noch vorbei.«
    Skip stand wie vom Donner gerührt. Diesmal brauchte er Erle gar nicht anzusehen, um mit ihm abzustimmen, was zu tun war. »Ivan«,
     sagte er mühsam beherrscht und drückte dem Jungen die Zügel der grauen Stute in die Hand. »Das Pferd hier gehört dem Mädchen,
     von dem Erle gesprochen hat. Eine Olivianerin. Sie heißt Kara. Wir haben’s für sie beschlagen. Stell’s in den Stall – ja?
     Wenn der Mann nach uns fragt, dann sag’ ihm, es dauert noch, bis wir kommen.«

|103| Das hohe Konzil
    Alter Tradition folgend, war die Konzilstafel rund, sodass keiner der neun Plätze als über einem anderen stehend eingestuft
     werden konnte. Die Lehne des verwaisten Königssitzes überragte die anderen um wenigstens einen Fuß und war mit einer goldenen
     Krone geschmückt. Zu seiner Rechten folgten vier massive Sessel – drei davon mit dem Symbol der königlichen Häuser von Tallan
     Dar geschmückt, einer mit dem Wüstenlöwen von Shayil Yara. Dem Königsplatz gegenüber standen die schlichteren, aber gleichfalls
     hochlehnigen Sessel – in zwei waren die Embleme der beiden religiösen Orden eingeschnitzt, die beiden verbleibenden kleineren
     Sessel waren den Repräsentanten der Bengaw-Provinzen Algaria und Cha’darini vorbehalten.
    Versonnen starrte Evan die Zeichen der Letzteren an, ohne sie wirklich wahrzunehmen: Zwei silberne Klingen auf grauem Grund
     für Algaria und ein galoppierender Schimmelhengst Cha’darini, dem Staatenbündnis aus den or’halla’schen Gras- und Wüstenlanden.
    Der Cha’darini-Sessel stand seit hundert Jahren leer – seit der Nomaden-Rebellion und der Proklamation der Kirche, alle Grasland-
     und Wüsten-Stämme seien den Barbaren zuzurechnen. Wie vieles andere am tandarianischen Hof war auch dieser Sessel ein Tribut,
     den man der Tradition zollte. Und wie so vieles andere war auch die Tradition selbst veraltet und abgenutzt. Wohl für alle
     Zeiten dahin war das gute Miteinander mit den Nomaden – selbst falls es jemals gelingen sollte, die Union mit den Grasland-Cha’ori
     und den Wüsten-Cha’idi wiederherzustellen.
    Bevor Evan an seinen Platz trat, fasste er die beiden Banner ins Auge, die hinter seinem Sessel neben dem schwarzen |104| Hirsch auf blauem Grund des Hauses Dorn aufgepflanzt standen: Der blau-schwarz-gelbe Sturmvogel des Hauses Dorian wurde von
     drei Adligen vertreten: dem Hochgebieter Bolgar Dorian – einem ernst dreinblickenden Mann mit langem,

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