Das erste Schwert
Schwert
.
Die Worte des sterbenden Edelmannes gingen Skip durch den Kopf.
Bring das Schwert zu den Bewahrern.
Was mochte es mit dem Rätsel des Sterbenden auf sich haben?
Es wurde dunkel. Die Nacht krabbelte wie auf Spinnenbeinen in die Ruine herein, und Skip glaubte, den Stahl noch immer schwach
glühen zu sehen, doch Erle bemerkte ganz offenbar nichts davon. Seine Hand strich an der Klinge entlang; in seinen Augen blitzte
der wissende Blick eines Mannes, der sich mit Metall auskennt. Gleich darauf schwang er das Schwert einige Male, um zu testen,
wie gut ausbalanciert es war.
Skip wartete, bis er an der Reihe war, die Qualität der Klinge zu prüfen. Der immer noch lederumwickelte Griff schmiegte sich
in seine Hand, und die Waffe wurde augenblicklich zur natürlichen Verlängerung seines Armes. Vor Aufregung vergaß Skip beinahe
zu atmen.
»Lass noch mal den Knauf sehen«, sagte Erle.
Widerstrebend gab Skip ihm die Waffe. Er kam sich vor, als würde er aus einem Traum geweckt, und das ärgerte ihn. Er wollte
das Schwert wiederhaben. Während Erle den Knauf musterte, fragte sich Skip, wie ihr Vater wohl an diesen Schatz gekommen sein
mochte.
Griff und Klinge passten perfekt zueinander. Aus einer harten, altersdunklen Silber- und Stahllegierung geschmiedet, schmückte
das Heft ein Wellenmuster, das auf der Klinge seine Fortsetzung fand. Auch die Parierstange, mit der die |95| Schwerthand geschützt wurde, zeigte das Wellenmuster. Davon abgesehen gab es nicht den geringsten anderen Zierrat. Keine Edelsteine,
keine Filigranarbeit, die eine Waffe nur unbequem in der Hand liegen ließen. Die altehrwürdige Schlichtheit der Wellenlinien
erst erweckte den seidigen Schimmer der Klinge zu machtvollem Leben.
Skip nahm das Schwert abermals an sich. Wie seine Finger den Griff umschlossen, vermochte er jede Feinheit der Wölbung zu
spüren; wie selbstverständlich schmiegte er sich an seine Haut – als wolle er eins damit werden. Skip holte tief Luft. Es
fühlte sich
gut
an, dieses Schwert zu halten. Viel zu gut, um es wieder herzugeben.
Erle wickelte den Griff wieder in das Ledertuch ein, verschnürte es sorgsam und schob die Klinge in die Scheide zurück.
»Zeit zu gehen«, brummte er. »Es ist spät geworden.«
Sie kehrten zu Baba Yagnas kleinem Haus zurück. Erle trug das kleine Bündel mit den aus den Trümmern geborgenen Gegenständen
über der Schulter, und Skip führte Karas Pferd am Zügel. Sie waren überein gekommen, zuerst einmal mit dem Vater über das
Angebot des Mädchens zu reden. Dann konnten sie Kara immer noch wissen lassen, wie sie sich entschlossen hatten.
In Baba Yagnas
Izba
herrschte gewaltiger Lärm, und es dauerte eine Weile, bis Skip begriff, dass sich außer Ba und Ellah nur zwei andere Menschen
in der Wohnstube aufhielten: die Bäckersfrau Vassa nämlich und deren Tochter Galina. Frau Vassa beherrschte mit ihrem Umfang
nahezu die Hälfte des Raumes. Sie hielt eine große Tasse Tee in der Hand – und stieß sie im Rhythmus ihres Zeterns wie eine
Lanze in Richtung ihrer Tochter, die wie ein Häuflein Elend auf dem Bett kauerte, ihr Gesicht an Ellahs Schulter versteckte
und schluchzte.
»Was ist denn passiert?«, erkundigte Skip sich verwirrt.
|96| Galina heulte in schrillen Tönen auf, und Skip musste an sich halten, um nicht zurückzuzucken. Er wandte sich Baba Yagna zu,
die beruhigend auf ihre massige Tischnachbarin einzuwirken versuchte.
Frau Vassa allerdings erweckte überhaupt nicht den Eindruck, Mitgefühl nötig zu haben. »Immer und immer wieder hab ich dir
gesagt, das ist ein Tunichtgut!«, erinnerte sie ihre Tochter. »Jetzt hast du den Beweis! Und kommst hoffentlich zur Besinnung.«
»Wer ist ein Tunichtgut?«, fragte Erle.
»Weißdorn«, antwortete Baba Yagna, nahm Frau Vassa ungerührt die Tasse aus der fuchtelnden Hand und schenkte Tee nach.
Skip wischte sich über die Augen. »Was stimmt denn nicht mit ihm?«
»Wenn du’s genau wissen willst«, dröhnte Frau Vassas Donnerstimme und ließ das Geschirr im Regal klirren, »er ist einfach
nichts wert, er –« Sie brach ab und erstickte fast an ihrer Empörung. »Ach! Du bist solch ein Knäblein, Skip!«
»Der neue Priester, Bruder Olympos, behauptet, die Kirche könne Weißdorn nicht zu heiraten gestatten«, erklärte Ellah. Die
Schluchzer ihrer Freundin sanken zu einer etwas geringeren Lautstärke ab. »Er glaubt, Weißdorn besitze gewisse Verfluchte
Eigenschaften, die
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