Das Erwachen
nach ihr, strichen über ihr Haar, sie berührten sie und versuchten, sich an ihr festzuhalten.
Sie schrie laut auf, denn plötzlich schien es, als sei die Gestalt vor ihr, oder ein weiterer dunkler Schatten, der plötzlich aus dem Nebel aufgetaucht war.
Sie wusste nicht einmal mehr, in welche Richtung sie eigentlich rannte, der Nebel war zu dick. Nicht schwarz wie die Schwärze der Nacht. Sondern blau. Wabernd, obwohl auch jetzt kein Blätterrascheln zu hören war. Nicht die leiseste Brise war zu spüren, die tote Blätter aufgewirbelt und Nebelschwaden hätte tanzen lassen.
Megan drehte sich erneut um und erstickte einen Schrei. Der Nebel hatte Augen. Brennende Augen, goldene, rote Feuerpunkte.
Augen … Augen, die sie schon einmal gesehen hatte, die sie in ihren Träumen verfolgt hatten, in ihrem Schlaf …
Beim Aufwachen?
Autoscheinwerfer, Taschenlampen … irgendetwas anderes. Nein!
Augen!
Sie wollte weglaufen, ohne Ziel, einfach nur weg von diesen unheimlichen Punkten aus Licht und Feuer. Ihre Lunge schien zu bersten, ihre Waden brannten vor Schmerz.
Hände … Finger … sie spürte etwas an ihrem Körper, Äste, die in ihr Haar griffen, versuchten, sie zurückzuzerren.
»Nein!«
Der Nebel flüsterte ihren Namen; es war, als sei der Nebel selbst zum Leben erwacht. Und die Berührung … sie war nicht wirklich, konnte nicht wirklich sein …
Aber sie spürte sie doch!
Spürte Hände, die nach ihr griffen, sich um sie schlossen, aber sie waren nicht da, sie waren nicht wirklich, die Gestalt war noch immer hinter ihr, und sie kam näher und näher …
»Megan!«
»Nein!«
Die Dunkelheit, Wirklichkeit, Fantasie, Nebel … unbekannte Materie … griff nach ihr.
»Nein!«
Es war hinter ihr …
Es war vor ihr.
Die dunkle Gestalt vor ihr rannte nun direkt auf sie zu, eine pechschwarze Gewitterwolke, fiel herunter … fast auf sie.
Wieder machte sie kehrt und rannte in die andere Richtung.
Aber dort war im blaugrauen Nebelschatten die Gestalt, die sie beinahe berührt hätte … mit einem eiskalten, fingergleichen Atem.
Sie drehte sich noch einmal um und schrie.
14
Die dunkle Gestalt vor ihr driftete vorüber. Sie hörte ein dumpfes Geräusch wie von einer Kollision oder einem Körper, der auf den Boden aufschlug. Wieder schrie sie auf und drehte sich um.
Beinahe augenblicklich lichtete sich der Nebel. Sie konnte das Hotel erkennen, es war jetzt direkt vor ihr. Sie sah den ersten Baum in der Reihe den Parkplatz entlang.
Eine dunkle Gestalt auf der Erde …
… die sich aufrappelte.
Ihr Atem stockte, sie wich zurück, bereit, erneut zu schreien, Hals über Kopf auf den Eingang zuzulaufen, der nun so nahe war. – »Megan!«
Finn, atemlos, seine Stimme ganz tief, heiser. Er stand mühsam auf. »Megan, ist alles in Ordnung?«
»Finn!« Sie rannte zu ihm. Der Umhang, den er aus Morwennas Laden ausgeliehen hatte, war verschmutzt und voller Herbstlaub. Finn stützte die Hände auf die Knie und schöpfte Atem. Seine dunklen Haare waren wirr und zerzaust; Blätter hatten sich darin verfangen. Ihr Instinkt hatte die Oberhand gewonnen; sie nahm sich nicht einmal die Zeit, darüber nachzudenken, ob er womöglich verletzt war. Sie warf sich an ihn, fast hysterisch in ihrer Erleichterung darüber, dass er lebte und unversehrt war.
»Megan, Megan!« Seine Finger strichen sanft über ihr Haar, und er zog sie an sich, hielt sie einfach nur in den Armen. Irgendwann trat er etwas zurück, um sie anzusehen. Sie berührte vorsichtig seinen Kopf, entfernte ein Blatt aus seinen Haaren.
»Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte sie ängstlich.
»Ja. Na ja, ein paar blaue Flecke, und es ist mir peinlich, dass er mir entwischt ist. Aber ansonsten … okay.«
»Finn«, murmelte sie und lehnte sich wieder an sein pochendes Herz. »Du bist immer für mich da … sogar heute Nacht. Du warst für mich da.«
»Ich würde für dich sterben, Megan, und das weißt du«, sagte er mit rauer Stimme.
»Und das ist unglaublich; wir haben so heftig miteinander gekämpft. Und sogar als du mich zurückholen wolltest, war ich so unsicher, weil es so viele Orte gibt, wo du sein konntest … Und selbst als wir zurückgingen, hatte ich anfangs solche Angst. Ich wollte dich nicht wieder verlieren; ich fragte mich, ob wir uns jemals wieder so nahe sein könnten. Und jetzt … ich habe dich nicht einfach verlassen. Okay, natürlich habe ich das, aber nur weil ich glaube, dass du nicht weißt, dass es etwas in deinen Träumen ist
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