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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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und leuchtete. Aber sie schrie nicht. Und als ich zu ihr kam, da sah sie so fremd aus. Ich erkannte sie nicht mehr. Und sie lag auf dem Boden. Aber an ihrem Ehering habe ich sie erkannt. Und an den Ausweispapieren und ihren Kleidern. Nicht die auf dem Körper, sondern die in der Reisetasche oder so.«
    »Und danach hast du Sarah nie mehr gesehen?«
    »Wie sollte ich.« Henry hob den Kopf, in seinen Augen standen Tränen. »Sie war doch tot. Tote sieht man nicht mehr. Oder hast du schon einen Toten wieder gesehen? Später und so?«
    »Nein, Henry, da hast du Recht. Tote sieht man nicht mehr. Es sei denn, du träumst. Hast du Sarah in deinen Träumen gesehen?«
    »Ich träume nicht mehr.«
    »Ich meine früher, als du noch geträumt hast.«
    »Natürlich habe ich Sarah in meinen Träumen gesehen. Sarah hat auch eine Engelstimme. Erinnerst du dich?«
    Ludevik nickte.
    »Aber das ist schon lange her«, wiederholte sich Henry.
    »Hast du in deinem Haus fremde Menschen bemerkt?«
    »Ich wohne hier. Und hier sind nur fremde Menschen. Außer Kurt, den sehe ich immer. Kurt ist mein Bruder. Er begleitet mich überall hin. Wie es früher Walli getan hat. Kurt ist jetzt mein Kindermädchen. Er ist zwar nicht so schön wie Walli, duftet auch nicht so gut, aber auf Kurt kann ich mich verlassen.«
    Ludevik formulierte seine Frage anders. »Vor langer Zeit, als du noch nicht hier gewohnt hast. Erinnerst du dich?«
    Henry nickte. »Das war doch auch als Sarah … und ihre Engelstimme …« Er betrachtete die Wand und schaute durch sie hindurch. Mühsam erhob er sich und ging zwei Schritte auf die weiße Wand zu. »Sarah hatte eine wirklich schöne Stimme. Sogar wenn sie schimpfte. Mit anderen schimpfte, meine ich. Mit mir hat sie nie geschimpft. Wir haben uns sehr gut verstanden. Bald wäre das Baby gekommen. Ein Junge. Und dann hätten wir uns noch besser verstanden.«
    Ludevik formulierte seine Frage neu. »Hast du zu irgendeiner Zeit fremde Menschen gesehen? In deinem Traum, gemeinsam mit Sarah. Oder auch ohne sie?«
    Henry drehte sich zur Raummitte, blieb mit nach vorn eingefallenem Oberkörper stehen und schüttelte den Kopf. »Nicht das ich wüsste. Aber ich habe mal … Augenblick, wie war das noch … ja, ich habe mal zwei aus meinem Haus gejagt, weil die keine Ordnung halten konnten. Du hättest mal sehen sollen, was die für einen Dreck gemacht haben. Das ganze Haus, Küche, Bad, Schlafzimmer, einfach überall. Nicht zu glauben. Das waren zwei fremde Menschen. Ich habe sie vorher nie gesehen. Und ich weiß auch nicht, wie sie ins Haus kommen konnten. Ein Mann und eine Frau. Meinst du die vielleicht?«
    »Ja, Henry, die habe ich gemeint.«
    Nach einer viertel Stunde verabschiedeten sie sich von Henry. Er war ganz ungeduldig geworden und hatte immer zur Tür geschaut. Beim Hinausgehen konnten sie erfahren, dass es Essenzeit war.
    Auf dem Weg zurück nach Saarburg fragte Ludevik: »Nun, wie ist Ihr Eindruck?«
    Carmen zuckte mit der Schulter und schaute aus dem Autofenster auf die Saar und die steilen, bewaldeten Hänge. » Sie haben ihn vollgepumpt und ruhiggestellt. Wohl im Augenblick die einzige Möglichkeit, ihn vor sich selbst zu schützen. Nun zu Ihrer Frage: Ich bin nicht der Experte. Was mich wundert, ist Henrys Logik in der Unlogik. Ich will damit sagen, dass er alles Unangenehme logisch aus der Sicht eines Dritten erklärt.
    Dadurch ist er fein raus, ihn trifft keine Schuld. Zum anderen aber glaubt Henry auch an seine eigene Logik, wie den Unfall in Frankreich. Sie hilft ihm, unangenehme Dinge zu verdrängen. Für ihn ist Sarah verbrannt. Für ihn ist Sarah tot.«
    »Henry kommt wohl nicht mehr zurück. Ich glaube eigentlich nicht, dass er es schafft. Seine Wahnvorstellungen sind so manifestiert, dass nur eine Dauermedikation Linderung verschafft. Helfen kann sie ihm schwerlich.«
    »Und die Konsequenz?«
    »Ohne den Gutachtern vorzugreifen, wird Henry entmündigt und Sarah sein Vormund werden. Aber warten wir mal in Ruhe die Entwicklung ab. Vielleicht kommen noch Dinge ans Tageslicht, von denen wir beide keine Ahnung haben.«
    Auf die Kisten mit den unmodernen Frauenkleidern sprach Carmen ihn nicht an.
    Wenig später wurde Ludevik in seiner Ahnung bestätigt, als Carmen in Sarahs Krankenzimmer trat. Sarah war außer sich und aufgeregt. Sie lief auf und ab, führte Selbstgespräche und hatte es abgelehnt, Beruhigungsmittel zu nehmen. Sie wolle sich aufregen, sagte sie zu Carmen und gab ihr eine Kopie des Testamentes

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