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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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ihres Vaters zu lesen. Schließlich habe sie einen Grund.
    »Was ist damit?«
    »Es war bei der alten Post«, meinte Sarah lapidar. »Eine Kopie des Testamentes meines Vaters. Sven Dornwald, mein Anwalt, mit dessen Hilfe ich mich scheiden lassen wollte, hat sie beim Notar angefordert.«
    »Und was ist das hier?«
    »Von mir eine Vollmacht für Henry, der Testamentseröffnung an meiner Stelle beizuwohnen. Damals, kurz nach dem Tod meines Vaters, ging es mir nicht so gut.«
    »Ist das nicht zu privat?«, wollte Carmen wissen.
    »Gibt es denn noch etwas Privateres zwischen uns als das, worüber wir gesprochen haben? Was wir bereits hinter uns haben?«
    Carmen überflog das Testament. Und dann sah sie in Sarahs Gesicht. Auch jetzt war dort Aufregung. Und Enttäuschung.
    »Du hast also etwa sechzigtausend geerbt, wenn ich das richtig verstanden habe.«
    »Du hast es richtig verstanden«, antwortete Sarah verbittert. »Und dafür hat sich mein Vater ein ganzes Leben lang geplagt.
    »Und mit wie viel hast du gerechnet?«
    »Gerechnet, gerechnet, pah.« Mit einer Hand wischte sie durch die Luft. »Allein das Wohnhaus war knapp zwei Millionen wert und meines Wissens unbelastet. Und es war im Privatvermögen, nicht in dem der Firma. Und dann noch die Firma selbst. Gut, sie hatte Schulden, allesamt jedoch nur erstrangige Grundschulden, denen ein wesentlich höherer Gegenwert in Form von Immobilien gegenüber stand.«
    »Du fühlst dich betrogen.«
    »Was für eine Frage. Natürlich fühle ich mich betrogen. Wärest du das an meiner Stelle nicht auch?«
    »Mag sein. Und von wem?«
    Genau das war der Punkt, der Sarah zu schaffen machte. Dem Testament zufolge hatte sie ihr Vater betrogen. Noch wenige Wochen vor der Hochzeit hatte er ihr seine Vermögensverhältnisse offen gelegt. Und er war stolz, eine solch gute Bilanz aufweisen zu können. Demnach belief sich das Vermögen der Firma damals auf mehr als drei Millionen Euro.
    »Aber deinem Vater traust du so etwas nicht zu.«
    Sarah biss die Lippen aufeinander. Für einige Sekunden schien sie verunsichert zu sein. Aber wenig später antwortete sie mit fester Stimme: »Es gab keinen ehrlicheren Menschen als meinen Vater. Er hat mich nie belogen.«
    »Wenn dem so ist, dann stellt sich die Frage, was ist in den letzten Wochen vor deiner Hochzeit mit deinem Vater geschehen? Hat er sich finanziell übernommen? Ist er bankrott gegangen?«
    »Mein Vater? Nie und nimmer.« Sarah war entrüstet. »Davon wüsste ich was. Und wenn eine GmbH in Konkurs geht, macht das überall die Runde. Und es steht in der Zeitung. Selbst wenn das alles stimmen und eingetreten sein sollte, dann bliebe immer noch sein Privatvermögen«, hielt Sarah entgegen. »Das wäre doch auch schon was.«
    Sarah wurde eine Woche später aus dem Krankenhaus entlassen. Sie war wieder zu Kräften gekommen, nicht mehr so leicht erregbar wie noch wenige Tage zuvor, und fühlte sich zumindest körperlich einigermaßen erholt, soweit man sich nach all dem Vorgefallenen überhaupt erholen konnte. Zögernd betrat sie das Haus und schalt sich eine Närrin, weil sie Carmens Angebot, sie zu begleiten, nicht angenommen hatte. Etwas Beistand hätte sie gebrauchen können.
    Nichts deutete mehr auf die schlimmen Vorfälle hin. Die Böden gereinigt, zum Teil war sogar das Parkett abgeschliffen und neuer Teppichboden verlegt worden, die Wände hatte man in Pastelltönen gestrichen, überall glänzte und strahlte es. Sie machte einen Rundgang durch die Räume des Erdgeschosses. Obwohl alles einen äußerst ordentlichen und sauberen Eindruck erweckte, stand nichts an seinem angestammten Platz. Henry würde sich aufregen und ärgern und toben, wenn er das mitbekommen könnte, überlegte sie und zuckte zusammen. Allein die Erinnerung an Henry genügte, um Ängste aufkommen zu lassen.
    Sarah schlenderte später wie eine Besucherin über das frisch gemähte Grundstück, schaute hinunter in das Tal und weiter zu den gegenüberliegenden bewaldeten Höhen und Ausläufern des Hunsrücks, als sähe sie alles zum ersten Mal. Sie beobachtete einen Heißluftballon, der für eine bekannte Biersorte warb und hörte das Zischen, wenn die Gasflamme ansprang, um die Luft zu erwärmen. So schwerelos hätte sie sich auch gerne fühlen und über allem schweben wollen.
    Im Gästehaus schwamm sie einige Minuten, hüllte sich in einen Bademantel und entspannte sich im Liegestuhl. Nach wenigen Minuten wurde sie durch die Klingel gestört. Carmen stand vor dem Tor,

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