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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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gesehen, im Badeanzug. Das war Henrys Mutter überhaupt nicht recht. Fünfundsiebzig bis achtzig Kilogramm hatte sie mindestens. Eher mehr.«
    »Aber auf den Fotos …«
    »Herr Ludevik«, amüsierte sich Carmen. »Gewisse Dinge zu verbergen, gehört nun mal bei uns Frauen dazu. Die Männer mögen so etwas. Sie etwa nicht?«
    Ludevik nickte abwesend, rieb sich das Kinn und stellte sich vor das Bücherregal, als suche er dort nach einer Lösung.
    Carmen blätterte in dem Album und entdeckte Aufnahmen von Henry als Kind und als Jugendlicher.
    »Und wer ist diese gut aussehende junge Frau mit dem kurzen Rock und den schönen Beinen hier auf dem Bild?«, wollte sie wissen. »Dreißig wird sie vielleicht schon sein, hat eine tolle Figur«, fügte Carmen hinzu.
    Sarah schaute sich die Aufnahme an. Henry war im Alter zwischen zwölf und vierzehn zu sehen, wie er lächelnd von der Seite die gleich große Frau anschaute. Und sie lächelte zurück und hatte ihm einen Arm auf die Schulter gelegt.
    Sarah nahm das Bild aus dem Album und betrachtete die Rückseite. »Henry an seinem dreizehnten Geburtstag mit Walli im Saarbrücker Zoo«, las sie laut vor.
    »Wer bitte?«, fragte Ludevik erstaunt.
    »Henry mit Walli, seinem Kindermädchen«, verdeutlichte Sarah.
    Ludevik nickte geistesabwesend, äußerte sich jedoch weiter nicht, ließ sich in einen Sessel fallen und brütete mit gerunzelter Stirn vor sich hin.
    Als die beiden Frauen nach einer Weile baten, an seinen Überlegungen teilhaben zu wollen, wiegelte er ab und meinte, seine Gedankengänge seien nicht so wichtig. Obwohl ihn das mit den Frauenkleidern irgendwie beeindruckt habe, wie er zugab.
    Gemeinsam mit Oberkommissar Breuer hörten sie sich am nächsten Tag das Band an, welches als einziges eventuell strafrechtlich relevant sein könnte. Die Frage, ob es außerdem noch andere Bänder gäbe, verneinten die drei wie verabredet. Von allem musste die Polizei auch nicht wissen.
    Auch auf diesem Band klang er so, als stünde Henry irgendwo im Raum oder als gehe er auf und ab. Man musste stellenweise konzentriert zuhören, um alles verstehen zu können.
    »Weißt du was Schande ist?« Diese Frage richtete Henry an seine Engelstimme. »Mami und Papa haben das Wort Schande immer groß geschrieben. Nie haben sie mir gegenüber erwähnt, dass ich eigentlich drei Monate zu früh geboren bin. Das war eine große Schande für sie. Aber davon wussten nur wenige. Je mehr von einer Schande wussten, sagten sie, desto größer wäre die Schande. Und durch die Zeitung, so hat es Papa gesagt, erfährt es jeder. Nicht nur hier in Saarburg. Überall. In der ganzen Gegend. Bis nach Trier und weiter. Da habe ich gemeint, es kann doch immer mal passieren, dass die Geschäfte nicht so gut laufen, eine Firma Schwierigkeiten hat. Papa hat mich angeguckt, als käme ich vom Mars. Aber nicht bei uns von Rönstedts, hat er geantwortet. Hier in Saarburg wartet doch jeder auf so etwas, Henry, hat er gesagt. Das sind doch alles Neider und Geiferer, die dir freundlich ins Gesicht reden und hinter deinem Rücken schlimme Lügen erzählen. Henry, verstehst du das? Natürlich habe ich das verstanden und wollte wissen, ob denn Papas Freunde nicht in der Not zu ihm stehen würden. Die Ärzte und andere Geschäftsleute, mit denen er sich regelmäßig treffe und die sich gegenseitig immer einladen würden. Und die aus der Politik. Er kenne doch alle aus dem Stadtrat. Bei jedem Empfang und bei jeder Veranstaltung sei er immer mit ihnen am Scherzen und am Reden. Und wenn er in der Firma zum Tag der offenen Tür eingeladen habe, mit kostenlosen Getränken, dann seien doch immer alle gekommen. Da hat mein Papa nur gelacht und gemeint: Natürlich sind sie gekommen. Weil es nichts gekostet und weil die Presse Fotos gemacht und alles einen Tag später in der Zeitung gestanden hat. Jeder wollte auf das Foto. Am liebsten hätten sie sich gegenseitig weggeschubst. Und dann hat Papa mir erklärt, nur ein Sieger habe viele Freunde, überall nur noch Freunde, die sich dann mit dem Sieger brüsten wollten. Aber ein Verlierer der merke dann, wenn es ihm schlecht gehe, wie viele Freunde er wirklich habe. Vielleicht zwei oder drei, wenn überhaupt, hat Papa gesagt.
    Wenn das so ist, dann könnten meine Eltern doch nach Spanien gehen und in ihrem Haus bei Marbella weiter leben wie bisher. Da hat Papa gemeint, ein von Rönstedt ergreift nicht die Flucht. Er steht zu dem, was er zu verantworten hat. Das hätte schon sein Großvater

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