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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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für einige Tage einen Schal tragen müssen.
    Sarah schrie, aber Henry lachte nur. Gier und Sieg und Überlegenheit strahlte er aus. Noch immer hatte er bisher über seine Sarah gesiegt, auch heute würde er es tun. Mindestens zweimal.
    »Henry, hör auf. Geh von mir runter«, schrie sie. Aber Henry hörte nicht und machte weiter. Und je mehr er weiter machte, desto mehr versuchte Sarah, sich herauszuwinden. Und je mehr sie dies versuchte, desto mehr fühlte sich Henry angestachelt.
    Er wusste, was die Weiber wollten. Bisher konnte sich noch keine über ihn beschweren.
    »Na, du Flittchen, gefällt es dir? Gibt es dir dein Zuhälter?« Er rieb sein Gesicht an dem ihren, knabberte an ihrem Ohrläppchen und biss zu, Sarah stieß einen spitzen Schrei aus.
    »Kommst du bald? Habe ich dich langsam fertiggemacht?« Er küsste sie, seine Zunge kam ihr wie ein Stück Wurst vor, die sich in jeden Winkel ihres Mundes zwängte. Und sie biss in diese Wurst. Fest, ganz fest.
    Henry ruckte hoch, saß mit angehockten Beinen vor ihr, fixierte sie mit verwunderten Augen und schlug zu. Mehrmals schlug er sie mit der flachen Hand ins Gesicht. »Du alte Schlampe, was soll der Scheiß?«, schrie er.
    Und als sie schützend die Hände vors Gesicht halten wollte, boxte er ihr mit der Faust auf die Brust und in den Magen. Sarah würgte und übergab sich.
    Auch an diesem Morgen registrierte sie einen komischen Geschmack im Mund. So wie jeden Morgen nach vorhergegangenem Alkoholgenuss. Im Bad putze sie sich die Zähne besonders intensiv, spülte den Mund aus und blickte in den Spiegel. Genauso hatte sie in den Spiegel geschaut, nachdem Henry sie zum ersten Mal geschlagen und sie sich übergeben hatte. Mehrmals hatte sie gewürgt, auch als ihr Magen schon längst nichts mehr hergab. Gewürgt vor Ekel und Enttäuschung. Und nie würde sie Henrys Gesicht vergessen, der hinter ihr stand. Die Arme in die Seiten gestützt, hatte er sie lässig und gönnerhaft angesehen. Und überlegen. Seiner Sarah hatte er es wieder mal gegeben.
    »Tu das nie wieder«, hatte er gesagt und ihr mit dem Finger gedroht. Und sich dann seine Zunge betrachtet, die blutete. Nichts fehlte. Leider hatte sie doch nicht so fest zugebissen wie erwartet.
    »Tu das nie wieder«, hatte er ein zweites Mal gesagt und sie geohrfeigt. Sie war zur Seite getaumelt und mit dem Kopf hart gegen die Toilette geschlagen.
    »Nie wieder.« Breitbeinig war er näher getreten und hatte sich genau über sie gestellt. An seinem Penis vorbeischauend erkannte sie ein fremdes Gesicht.
    Sarah sah die Szene vor sich, als hätte sie sich gerade erst abgespielt und nicht bereits vor vielen Monaten. Immer wieder meldete sich dieser Vorfall, obwohl andere, die später kamen, noch viel schlimmer waren. Aber als Henry sie das erste Mal schlug, in dem Augenblick hatte die andere Seite gewonnen und ihn ganz zu sich hingezogen.
    Heute machte sie Erledigungen auf den Ämtern, ging zur Bank und kaufte ein. Die Sonne schien und kündigte den Frühling an. Erstaunlich viele Menschen saßen schon am Vormittag am Wasserfall, das Gesicht zur Sonne gewandt, die Augen geschlossen. Kinder spielten mit Bällen, Hunde, kurz angeleint, blinzelten träge und wedelten gnädig mit dem Schwanz.
    Sarah setzte sich unter eine Markise und nahm Abschied. Abschied von einer Woche ohne Henry. Abschied von einer schlimmen Woche, in der ihr die Kraft zum entscheidenden Schritt gefehlt hatte. Und das bedauerte sie.
    Wenn Henrys Ankündigung stimmte, dann musste er inzwischen zu Hause sein. Sarah zögerte das Wiedersehen hinaus und trank den zweiten Kaffee. Eine Bekannte setzte sich zu ihr, sie plauderten belangloses Zeug. Sie erkundigte sich nach Henry, Sarah erkundigte sich nach niemandem, weil es sie nicht interessierte. Die Bekannte ging, jedoch nicht ohne die Bemerkung gemacht zu haben: »Henry ist aber gesprächiger als du. Und wesentlich freundlicher.«
    Als hätte sie alle Zeit der Welt, schlenderte sie zum Auto – obwohl sie die Zeit auf dem Parkschein überschritten hatte, befand sich unter dem Scheibenwischer kein Strafmandat, eine Seltenheit für Saarburg – und fuhr durch die Stadt. Sie hielt sich an die Begrenzung von dreißig Stundenkilometern, jeder Fußgänger durfte über den Zebrastreifen, ob er wollte oder nicht. Am Tunnel, wo sie die Vorfahrt des Kreisverkehrs zu beachten hatte, bildete sich hinter ihr ein kleiner Stau. Einige begannen zu hupen. Sarah kümmerte sich nicht darum, rollte vorbei an der Auffahrt zur

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