Das Erwachen
werden. Leasingrate zweitausend im Monat bei freier Kost und Logis‹.«
Henry umfasste ihr Handgelenk und sah sie an. Er war verwundert. Sie erkannte das daran, weil sein Mund wenige Millimeter offen stand und seine Zähne zu sehen waren. Und sie erkannte es an seiner Art zu atmen. Durch den Mund und nicht durch die Nase.
»Mit wem?«, zischte er. Sie roch seinen Atem. Wie immer nach Pfefferminze und irgendeinem Mundwässerchen.
»Verpiss dich.«
Henry schlug zu. Mit der flachen Hand auf die Wange. Ihr Kopf wurde zur Seite geschleudert. Sie wäre gefallen, hätte er sie nicht noch mit der anderen Hand festgehalten.
Mit einer Hand strich sie sich die Haare aus dem Gesicht. Ihre Wange brannte. Und in ihr brannte es auch.
»Was sind wir heute wieder so stark, mein Tarzan.« Spöttisch sah sie ihn an. »Und fair sind wir auch. Immer nur gleichwertige Gegner, wenn es um diese Prügelorgien geht. Verdammt fair.«
»Mit wem?« Henry musste weiter fragen, weil er noch keine Antwort erhalten hatte. Und er musste sich vor ihr bestätigen. Er konnte nicht dulden, dass sie ihm diese wichtige Antwort schuldig blieb.
Aber seine Haltung drückte auch ein hohes Maß an Unsicherheit aus. Antworten in einer solchen Härte und mit einem solchen Vokabular hatte ihm Sarah bisher noch nie gegeben. »Verpiss dich.« Das war nicht ihr Sprachschatz. Und sie wich auch nicht so zurück wie sonst, wenn er sie ohrfeigte. Im Gegenteil, heute blieb sie stehen, sah ihm in die Augen und ließ ihn ihre Verachtung spüren. Was war alles in dieser Woche vorgefallen?
Weil er immer noch keine Antwort erhielt, lenkte er ein. »Bist du aufgehetzt worden gegen mich?«
»Das braucht niemand zu tun.«
»Ist das der Grund für diese zweihundert Euro? Hast dich von jemandem aufhetzten lassen und auch noch bezahlt!«
Sarah wollte sich aus seinem Griff befreien, aber Henry ließ sie nicht los.
»Wann ist der Frühjahrsball des Saarburger Unternehmer Verbandes?« Sie fragte, obwohl sie das Datum genau kannte.
»Am kommenden Samstag.«
»Soll ich mitgehen?«
»Selbstverständlich.«
»Wenn ich jetzt nicht meine Wange kühle, dann sieht jeder, wie der liebe Henry mit seiner Frau umspringt. Ich werde die Stelle nicht noch einmal unter Make-up verstecken. Und ich werde nicht noch einmal für dich lügen. Deine Geschäftspartner sollen erfahren, was und wer du in Wirklichkeit bist. Ein perverses, armes Schwein, nicht ganz richtig im Kopf.«
Verdattert ließ er sie los. Sarah eilte ins Bad und betrachtete sich die Wange. Rot und geschwollen sah sie aus, und wenn sie sie berührte, hatte sie das Gefühl, mit einer Nadel hineinzustechen.
Seit mehr als einem Jahr schlug Henry sie mindestens einmal im Monat. Aber heute machte es ihr zum ersten Mal nichts mehr aus. Wenn sie ehrlich war, dann hatte sie ihn sogar dazu provoziert. Und sie hatte diese Ohrfeige genossen wie einen Sieg. Sie konnte Henry manipulieren. Genau das würde sie nun immer wieder tun. Und auf einen Punkt speziell würde sie sich konzentrieren: auf seine Eifersucht. Obwohl Henry aussah, als wäre er als Beau aus einem Film entsprungen, als drängten sich ihm die Frauen geradezu auf, war er über alle Maßen eifersüchtig. Sie, die liebe Sarah, war sein Besitz, den niemand anfassen durfte. Noch nicht einmal ansprechen und ohne Zustimmung zum Tanz auffordern. Und der andere Punkt war Henrys übertriebene Ordnung. Auch da wusste sie, wie sie ihn in Zukunft zu behandeln, ihn zu provozieren hatte. Beides, Eifersucht und Ordnungstick, durchschaute sie wie klares Wasser. Und dadurch war er für sie manipulierbar geworden, ohne es zu wissen. Und vorhin die Szene war exakt so abgelaufen, wie sie es sich ausgemalt hatte. Sie fühlte sich überlegen und stark. Und sie war überzeugt von dem, was sie dachte: nie mehr wird er mich demütigen.
Sarah wusch sich das Gesicht und kühlte die Wange zuerst mit einem Waschlappen. Dann ging sie in die Küche, nahm Eis aus dem Kühlschrank, schlug ein Tuch darum, drückte es auf die feurige Stelle.
Henry stand immer noch im Wohnzimmer, in seiner typischen Haltung: leicht breitbeinig und die Hände tief in den Hosentaschen vergraben.
»Tolle Leistung, mein lieber Henry. Dich zusammenschlagen zu lassen, kostet viertausend.«
Er ruckte in ihre Richtung und riss die Hände aus den Hosentaschen. Als hätte er nicht richtig verstanden, machte er einen unsicheren Schritt auf sie zu.
»Was hast du gerade gesagt?«
Ohne Regung und ohne die Stimme zu erheben,
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