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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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also nicht die … wie du gesagt hast, die angebliche Vergewaltigung?«
    »Es war eine Vergewaltigung, du und ich, wir wissen das. Ich kann sie dir leider nicht beweisen.«
    »Wie, du warst …«
    »Aber schon lange zuvor war das Fass längst voll«, unterbrach sie ihn. »Henry, irgendetwas stimmt nicht mit dir. Irgendetwas in deinem Kopf. Und in deiner Vergangenheit. Ich gebe dir einen Rat: Lasse dich behandeln. Es wäre besser für dich.«
    Sarah hatte längst die Grenze überschritten, an der sie sich zurückhielt oder auf Henry Rücksicht nahm. Aber sie ahnte, dass sie sich mit dieser Aussage weit aus dem Fenster lehnte. Henry war, wenn man ihn oder seine Entscheidungen kritisierte, nicht berechenbar. Er konnte auf der Stelle explodieren und toben wie ein Wahnsinniger. Und alles, was sich ihm in den Weg stellte, niederreißen. Die körperlichen Fähigkeiten dazu wies er allemal auf.
    Aber Henry blieb erstaunlich ruhig. Außer, dass er immer wieder die Fäuste ballte, an den Lippen nagte und sich auf die Zähne biss- wodurch die Muskelstränge am Kiefer deutlich hervortraten- zeigte er kein Anzeichen von Betroffenheit. Dass er sich so in der Gewalt hatte, war für Sarah ungewöhnlich. Erst recht, wo sie ihm das Schlimmste unterstellt hatte: in seinem Kopf sei nicht alles richtig. Ausgerechnet das, worauf Henry so ungemein stolz war, auf seinen Verstand und seine Logik. Auf Gedächtnis und Kombinationsgabe – für ihn Unangenehmes ausgeklammert. Und auf die Möglichkeit, Dinge zu hinterfragen und zu durchschauen, was implizierte, dass er sich auch eine hinterhältige Denkweise aneignen konnte, wenn es um seinen Vorteil ging.
    »Henry, weißt du, was besonders entwürdigend war im Krankenhaus?« Sie schaute ihn an und sprach leise weiter: »Als man mich gefragt hat, woher denn die vielen blauen Flecke kommen. Von einem Sturz, das nahmen sie mir nicht ab, die waren unterschiedlich alt. Henry, du weißt doch woher die blauen Flecke kommen, nicht wahr? Oder hast du das inzwischen vergessen? So vergessen, wie alle unangenehmen Dinge, für die in deinem Kopf kein Platz ist?«
    »Also hat es keinen Sinn mehr«, stellte er lakonisch fest.
    »Genau. Keinen Sinn mehr.«
    »Ich werde dich verlieren.«
    »Du hast mich längst verloren«, verbesserte sie ihn. »Du hast mich verloren, als du mich das erste Mal geschlagen hast. Heute weiß ich es.«
    »Und wenn ich mich …, wenn ich mich … ändere?«
    Mit großen Augen sah sie ihn an. »Henry, das heutige Datum muss ich mir merken. Du willst dich ändern? Das bedeutet doch im Umkehrschluss, du gibst zu, etwas falsch gemacht zu haben.«
    »Ich würde es wegen dir tun.«
    »Nur wegen mir? Nicht wegen der Firma?«
    »Nur wegen dir.«
    Sarah stand auf und reckte sich. »Ich bin müde und gehe schlafen.«
    »Ich komme mit.«
    »Dann gehe ich ins Gästezimmer.«
    Sarah konnte lange nicht einschlafen. Henry geisterte im Haus umher und machte seinen abendlichen Rundgang. Sarah konnte hören, dass er die bereits verschlossene Haustür wieder öffnete, wie jeden Abend bei eingeschalteter Panikbeleuchtung hinaus in den Garten und auf das Grundstück bis hinunter zum Tor schaute und sie anschließend wieder verschloss. Danach stieg er in das Obergeschoss.
    Mit Henry stimmte etwas nicht, überlegte Sarah. Seine Bereitschaft, sich zu ändern, kam unerwartet und passte überhaupt nicht zu ihm. Auch ein kleiner Napoleon ändert sich nicht. Was also steckte dahinter? Welche eigentliche Absicht hegte er? Und dass er eine Absicht hegte, ihr das Angebot nur aus Berechnung gemacht hatte, davon war Sarah überzeugt.
    Carmen war pünktlich. Exakt um 15 Uhr klingelte sie am schmiedeeisernen Tor. Sarah betätigte den Türöffner und ging ihr entgegen. Die beiden Frauen begrüßten sich herzlich und Sarah versuchte, in Carmens Gesicht zu lesen. Immer noch war sie nicht davon überzeugt, dass es gut war, die Ärztin so intensiv einzuweihen und mit ihren persönlichen Problemen zu beschäftigen. Aber eines musste sie eingestehen: Carmen, die alles Berufliche ausklammerte, war eine ausgezeichnete Zuhörerin, welche die richtigen Schlüsse ziehen und die richtigen Fragen stellen konnte.
    »Hier also wohnst du«, stellte Carmen mit einem anerkennenden Rundumblick fest und verbesserte sogleich. »Hier residierst du. Nicht schlecht. Hoch über Saarburg, hoch über den anderen, wie es sich gehört.« »Wie es sich für Henry gehört«, verbesserte Sarah. »Ich muss das alles hier nicht haben.«
    »Was müssen

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