Das Erwachen
Dann sprang ihm die Geilheit aus den Augen.«
»Am Anfang haben wir das wohl beide gut gefunden. Stimmt es?«
Carmen nickte.
»Und jeder normal als Mann empfindende Richter würde uns auch heute, Jahre später, zumindest indirekt einen Teil der Schuld geben, weil unsere Männer so gewaltig und ungemein auf uns Frauen reagiert haben.«
»Und dann gewalttätig geworden sind.«
Sie zogen sich an und Sarah zeigte Carmen das Gästehaus, eine großzügige, komplette Wohnung mit fünf Zimmern und zwei Bädern.
»Das hier würde mir auch schon genügen. Die Wohnung ist ja wesentlich größer als mein gesamtes Haus«, wunderte sich Carmen. »Die vielen Bücher, sind die auch für den Gärtner?«
»Für denjenigen, der sie lesen will. Manchmal bin ich sogar hier, um ungestört lesen zu können.«
Vom Gästehaus gingen sie zum Haupthaus und benutzten dazu einen gepflasterten Weg, der genau auf dem Höhenrücken verlief und einen ausgezeichneten Blick nach beiden Seiten in die Täler bot.
Die Hunde kamen ihnen entgegengelaufen und schnupperten zuerst einmal ausgiebig den Besuch.
»Die gehen aber ran«, scherzte Carmen, als einer der Labradors seine Schnauze fordernd zwischen ihre Beine schob und nach oben stieß. »Das müssen Rüden sein.«
Lachend betraten sie das Haus. Carmen legte ihre Jacke an der Garderobe ab und betrachtete sich zwei alte Gemälde in der Diele.
»Familienbesitz der von Rönstedts«, kommentierte Sarah. »Das Haus ist voll davon. Kultur und Geld gehen immer gemeinsame Wege. Aber leider verstehen diejenigen, die das Geld haben, am wenigsten davon.«
Mit einer Hand fuhr Carmen über das glatte Holz des Spiegels und das des halbrunden Tisches, der darunter stand.
»Tolle Arbeit«, lobte sie. »Entschuldige bitte, Sarah, ich muss alles anfassen. Mein Tastsinn ist sehr ausgeprägt.«
Im Wohnzimmer bewunderte Carmen die Teppiche und die Möbel und die Ordnung.
»Es ist so, wie du es mir beschrieben hast. Alles steht abgezirkelt, wie in einem Plan eingezeichnet.«
»Heute ist es sehr unordentlich bei uns«, verbesserte Sarah, ging zur Wand und rückte ein Bild zurecht. »Mary hat Staub gewischt. Man merkt es, sie sollte mal zum Optiker gehen und sich eine neue Brille machen lassen. Meine Aufgabe ist es, ihr nachzugehen und wieder alles exakt an seinen Platz zu stellen.«
Sie platzierte eine Silberdose an die richtige Stelle und schob die Kaminuhr genau in die Mitte der Anrichte. Ein schneller Blick in die Runde, sie eilte in eine Zimmerecke und schlug die Fransen des Teppichs zurück.
»Bis vor einem Jahr habe ich die noch mit einem groben Kamm geordnet«, meinte sie leichthin.
»Jetzt macht es Mary?«
Sarah zuckte mit der Schulter.
»Und wegen so etwas habt ihr Streit bekommen?«
»Mindestens einmal die Woche.«
»Wie gut muss es euch gehen, wenn ihr euch über solche Banalitäten in die Haare geratet.«
Heute war Carmen nach Kaffee – trotz ihres empfindlichen Magens. Und einem Stück Kuchen mit Sahne.
An Kuchen hatte Sarah gedacht, den Kaffee brühte sich frisch auf. Wenig später saßen sie im Wintergarten und schauten nach Süden über das Saartal zur Klause von Kastel, der letzten Ruhestätte des blinden Königs von Böhmen.
»Ich weiß nicht mehr, wo ich es gelesen habe. Aber irgendwo stand als Satire geschrieben: Der liebe Gott hat Eva als zweiten Menschen gemacht, um die Fehler beim ersten Versuch zu korrigieren.«
»Carmen, wir schimpfen hier über unsere Männer, und dabei hat doch alles wie im siebten Himmel begonnen. Bei dir etwa nicht?«
»Ist es nicht eher so, dass wir uns im siebten Himmel wähnten, den die Männer für uns konstruiert oder uns versprochen hatten, ohne selbst darin zu wohnen?«
»Also nicht nur die besten Freunde der Frauen, wie Diamanten und anderes Gehänge, sondern auch Gefühle, um uns zu beruhigen. Und nach denen wir uns so sehnen. Wir Frauen.«
»Genau«, bestätigte Sarah. »Wie schnell sind wir bereit, für ein bisschen Glückseligkeit uns selbst aufzugeben. Wer dazu erzogen worden ist über Jahrhunderte, nur zu dienen und es dem Schöpfer, sprich Mann recht zu machen, der kann das nicht so schnell ablegen. Und legst du es ab, dann bist du eine Emanze. Auch keine schöne Vorstellung. Nicht nur aus Sicht der Männer. Als Emanze bist du unter den Frauen immer eine Außenseiterin. Das ist mindestens genau so schlimm, wie im Orient Fingernägel lackieren oder ohne Schleier auf die Straße zu gehen.«
Carmen wechselte abrupt zu einem anderen
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