Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
Vom Netzwerk:
hat?« Henry schaute in die Richtung, aus der er die Stimme zu vernehmen glaubte. »Sie hat mich gelobt, als ich es ihr erzählte. Und Papa war stolz auf mich. ›Du wirst mal ein guter Geschäftsmann‹, hat er zu mir gesagt. Und wenn ich mich morgens auf den Weg zum Kindergarten machte, da warteten sie bereits auf mich. Hilde und Sophie. Sie nahmen mich in die Mitte, fassten meine Hand und zu dritt gingen wir los. Nur auf dem Bürgersteig. Ich war in der Mitte. Sophie immer links, Hilde immer rechts.«
    Und warum hat dich deine Mami so oft geschlagen?
    »Ich habe nicht aufgepasst. Habe nicht auf meine Sachen aufgepasst und mich schmutzig gemacht. Oder es war ein Loch in der Hose. Vom Spielen. Auch habe ich einmal einen Schuh verloren. Einen Sonntagsschuh. Am Tag meiner ersten heiligen Kommunion. Als wir auf der Straße Nachlaufen spielten. Plötzlich war der Schuh weg. Einfach verloren. Ein Lackschuh mit Schnalle. Gespuckt habe ich auch. Auf die Blumen im Garten. Und ich habe mir nicht die Nase geputzt. Immer auf den nackten Po bekam ich es. Mit einer Holzlatte. Oder Papas Gürtel. Einmal ist der Gürtel gerissen. Es war meine Schuld. Hätte ich keine Schläge bekommen, dann wäre er ganz geblieben. Dafür gab es dann extra Schläge.«
    Nur deswegen?
    »Und ich habe einmal beim Spielen Pipi in die Hose gemacht. Mami schlug mir auf mein Pippimännchen. Mit einem dünnen Holzstab. Das tat dann sehr weh.«
    Henry schaute an sich herunter und nahm mit gefesselten Händen den Penis in die Hand. Genau darauf hatte ihn seine Mami geschlagen. »Walli hat mich getröstet.«
    Wer ist Walli?
    »Mein Kindermädchen.«
    Und weshalb bist du noch geschlagen worden?
    »Weil ich im Kindergarten eine Freundin hatte. Die Hilde. Ich konnte sie gut leiden. Jeden Morgen hat sie auf mich gewartet. Zusammen mit der Sophie. Hilde brachte mir immer Süßigkeiten mit und durfte auf meinem Block malen. Hilde wohnte am Hasenberg. Dort wohnen nur schlechte Menschen, mit denen man nicht sprechen sollte. Aber Hilde war nicht schlecht. Ich habe mit ihr gesprochen. Bis meine Mami das herausfand. Und dann hat sie mich bestraft. Sie hat mir auf die Finger geschlagen, damit ich Hilde nicht anfassen konnte. Und sie hat mir ein Pflaster auf den Mund geklebt. Eine Woche lang durfte ich nichts reden, wenn ich aus dem Kindergarten kam. Und ich musste dazu auch noch im Wohnzimmer in der Ecke stehen. Das war schlimm, denn ich war erkältet und hatte Husten. Mein Kopf ist dick geworden, als würde er platzen. Durch die Nase kam der Schleim heraus. Und dann habe ich nicht mehr mit Hilde gesprochen. Das Pflaster war weg, und in die Ecke musste ich auch nicht mehr. Walli kam endlich aus dem Urlaub und hat mich getröstet.«
    Henry lauschte, aber die Stimme meldete sich nicht mehr. Dabei war sie so angenehm und freundlich. Und jetzt war er allein. Wieder ganz allein in diesem schrecklichen Raum. Aber Henry war auch beruhigt. Er fühlte sich sicher und behütet. Weil der Raum abgeschlossen war, konnte niemand zu ihm. Er brauchte also keine Angst zu haben.
    Für wenige Minuten genügte ihm diese Erklärung. Dann fragte er sich: Und was ist, wenn jemand einen Schlüssel hat? Dann kann er kommen, wann immer er will. Ohne zu fragen.
    Diese Vorstellung behagte ihm nicht, er ging schneller. Und erst jetzt, als er seinen Blick über die Regale schweifen ließ, entdeckte er die Flasche und trank. Das Mineralwasser schmeckte abgestanden. Ob es noch von Sarah stammte? Egal, wenigstens Durst hatte er keinen mehr. Ich habe doch nichts getan, warum werde ich eingesperrt, überlegte er. Und die Fesseln waren auch nicht zu lösen. Er konnte daran reißen und rütteln wie er wollte, sie gaben nicht nach.
    Als Henry aufwachte, war er schweißgebadet. Er hatte Kopfschmerzen, ekelhafte, bohrende Kopfschmerzen und das Gefühl, als platze jeden Augenblick sein Schädel. Er schaute zuerst auf seine Hände. Sie waren nicht gefesselt. Und um den Penis hatte er auch kein blaues Schleifchen.
    Zuerst nahm er zwei Aspirin, dann duschte er ausgiebig, anschließend wieder zwei Tabletten. Sie halfen allmählich. Und er bemühte sich, seinen Traum zu analysieren. Eines irritierte ihn besonders: Im Traum hatte er sich als Mann gesehen, so wie er jetzt und heute war, aber als kleines Kind gesprochen und gedacht und empfunden.
    Einer Eingebung folgend zog er sich an und ging durchs Wohnzimmer und durch die Küche in den Weinkeller. Er wollte das Licht anmachen, aber es funktionierte nicht. Zuerst

Weitere Kostenlose Bücher