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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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doch, das genügt mir.« Henry setzte sich.
    »Zu Hause durfte ich nie auf dem Boden sitzen. Immer auf dem Stuhl, Rücken gerade, Beine zusammen, Hände auf den Oberschenkeln. Immer gerade. Papa hat mir mit Klebeband ein Stück Holz auf den Rücken geklebt, vom Nacken bis zum Po, damit ich immer gerade ging und stand. Besonders sonntags in der Kirche. Unter der Jacke war das Holz versteckt. Ich konnte nur stehen, ganz gerade stehen. Einmal habe ich nicht daran gedacht und mich gesetzt. Die Hose ist mir krachend aufgerissen und alle haben zu mir hingeschaut. Papa ist mit mir sofort nach Hause gegangen und hat mich bestraft. Immer wieder auf den Po mit einem dünnen Gürtel. Und auf den Rücken. Dann hat er mir noch zwei Latten an die Beine gebunden, hoch bis zu den Achseln. Den ganzen Tag musste ich damit stehen und konnte kaum laufen. Und die Haut ist davon rot geworden. An der Hüfte habe ich sogar geblutet. Aber ich habe mich nicht beschwert. Und als ich nach zehn Stunden zusammengebrochen bin, hat sich eine Latte in meine Achsel gebohrt. Aber das habe ich nicht richtig gemerkt, denn ich war bewusstlos. Und zum Arzt hat Papa gesagt, ich sei beim Spielen auf ein Stück Holz gefallen. Dabei hat er zu mir immer gesagt, man darf nicht lügen. Später hat er gemeint, zu anderen dürfe man schon die Unwahrheit sagen, wenn es einem helfe. Nur nicht innerhalb der Familie. Daran habe ich mich auch immer gehalten.«
    Henry setzte sich zurecht, den Rücken kerzengerade, Kopf hoch aufgerichtet, Blick geradeaus. »Auf dem Boden sitzt man gut, wirklich gut.« Er rutschte wie zur Bestätigung hin und her. Und er kreuzte seine Beine.
    » Wenn man auf dem Boden sitzt, wird die Hose dreckig. Und der Stoff scheuert durch. Das hat Mami immer gesagt. Und beim Picknick hat sie eine Decke ausgebreitet. Einmal haben wir Picknick gemacht. Auf der Decke. Aber an meinen weißen Kniestrümpfen war ein Grasfleck. Ein kleiner Grasfleck. Mami hat den Strumpf gewaschen und ich musste das Wasser trinken. Nun sei der Fleck in meinem Bauch, hat sie gesagt. Und morgen in der Toilette, da wo er hingehört.«
    Henry neigte den Kopf, als überlegte er, als reiste er in der Vergangenheit.
    Wie hat es dir in der Schule gefallen?
    »Schön war es dort, sehr schön. Ich durfte mit jedem reden.
    Und mich setzen, neben wen ich wollte. Und ich konnte mir alles ausleihen, die Stifte und das Papier.«
    Hast du denn keine Stifte und kein Papier gehabt?
    »Doch, aber Mami hat immer alles kontrolliert. Und abends kam dann Papa. Er hat nachgeschaut, ob auch alle Stifte exakt ausgerichtet waren. Die kurzen Stifte oben in der Schale, die längeren darunter, Spitze immer nach links. Damit man sie gleich mit der rechten Hand am richtigen Ende greifen konnte. Aber ich war Linkshänder. Papa hat gemeint, das spiele keine Rolle. Ich solle die Stifte genauso in die Schale legen, wie er es als Junge auch hatte tun müssen. Das habe ich dann auch getan. Zuerst musste ich die kurzen aufbrauchen. Bis sie nur noch vier Zentimeter lang waren. Papa hat das ausgemessen. Dann durfte ich den nächsten benutzen. ›Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert‹, sagte Papa immer. ›Und auch ein kleiner Stift ist etwas wert. Verschwender gibt es auf der Welt genug. Bücke dich auch, um einen Pfennig vom Boden aufzuheben. Das Geld liegt auf der Straße. Nur die Faulen bücken sich nicht.‹«
    Henry erzählte, wie er Ordnung halten musste. Der Radiergummi lag neben dem Bleistiftspitzer, und davor stand der Locher. Daneben das Lineal. »Papa hat ein Foto von meinem Schreibtisch gemacht und gesagt, so muss er jeden Abend aussehen. Und Papa war mit mir zufrieden, wenn er das Foto mit dem Schreibtisch verglichen hat. Mami auch. Denn meine Schuhe standen auch richtig im Schrank. Die Fersen an der Leiste, und die Spitzen nach vorn. So blank poliert, dass man sich darin spiegeln konnte. Alles muss im Leben seine Ordnung haben.«
    Eine Zeit lang meldete sich die Stimme nicht. Und Henry plapperte vor sich hin. »Wenn man redet, ist man nicht allein. Waren Mami und Papa nicht da, dann habe ich immer geredet. Ich habe mir Fragen gestellt und sie mit anderer Stimme beantwortet. Und dazu habe ich auch meine Stellung verändert. Bin vom Sofa aufgestanden und habe mich neben den Schrank gestellt. Dann dachte ich, ich sei nicht allein. Und wenn ich in den Keller gehen musste, habe ich ganz laut geredet oder ein Lied gepfiffen. Jeder sollte hören, dass ich komme. Keiner brauchte sich zu

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