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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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wurde, und direkter, so wie er ihn kannte. Er reimte sich zusammen, dass mit größerem zeitlichem Abstand zu den Erinnerungen und Träumen sich bei ihm auch wieder die Normalität einstellte.
    »Bitte nur drei Fragen, aber ganz ehrlich beantworten. Abgemacht?«
    »Also gut.«
    »Hattest du als Kind Angst?«
    »Nein, nie …«
    »Ehrlich, Henry.«
    »Als Kind?«, fragte dieser zurück und neigte den Kopf, um sich besser erinnern zu können. Ludevik nickte.
    Henrys Stirn war gerunzelt, die Lippen hatte er geschürzt. »Nun, als Kind vielleicht schon«, gab er schließlich zu..
    »Also ja.«
    »Kinder dürfen doch wohl ab und zu mal Angst haben, oder nicht?«
    »Bist du als Kind häufig geschlagen worden?«
    »Niemals.«
    »Auch nicht, wenn du etwas angestellt hast?«
    »Dann bekommt doch jeder eins hintendrauf.« »Wenn ein Bleistift nicht ordentlich lag? Du dich schmutzig gemacht hast? Na, bist du geschlagen worden?«
    Schließlich meinte Henry, es sei schon mal vorgekommen. Vielleicht, weil seine Eltern enttäuscht waren und er ihre Erwartungen nicht erfüllt hatte. Eltern trugen immer Erwartungen an die Kinder heran. Sozusagen ein Idealbild, welches sie selbst früher nicht erfüllen konnten. Das sei doch ganz normal.
    »Und die letzte Frage: »Wenn du träumst, siehst du dich dann als Mann, so wie du jetzt ausschaust?«
    »Ja. Wie in einem Spiegel.«
    »Aber du redest und denkst wie ein Kind, wie damals, vor vielen Jahren. Oder wie ein Heranwachsender.«
    Henry nickte heftig. Das war die Erklärung. Kinderträume, Jugendträume. Ihn quälten Kinder- und Jugendträume. »Und ich empfinde auch so.«
    Trotz der Antworten war Henry nicht bereit, Ludevik in der Praxis aufzusuchen. Das sei alles Humbug, nur Gerede, bringe ja doch nichts. Mit Logik komme man weiter. Er tippte sich gegen die Stirn. Graue Zellen, die arbeiteten und aktiv seien. Auf die könne er sich immer verlassen. Jede funktioniere hervorragend. Seine Geschäftspartner könnten davon ein Lied singen. Und seine Feinde auch. Denen habe er es immer gegeben. Mit Köpfchen. Alles andere bringe doch nichts.
    »Was soll es denn bringen?«, wollte Ludevik wissen.
    Henry wurde schlagartig ruhig und nachdenklich. Mehr zu sich selbst antwortete er mit leiser Stimme: »Dass meine Träume aufhören.«
    »Und warum sollen sie aufhören?«
    »Weil … weil …« Henry blickte sich Hilfe suchend um.
    »Weil du Angst vor ihnen hast.«
    Wenige Tage später platzte Henry bei Ludevik mitten in eine Sitzung. Er wirkte aufgelöst und sehr erregt. Ludevik konnte ihn in einen anderen Raum locken, setzte seine Assistentin zu ihm und kam selbst bereits nach wenigen Minuten zurück.
    Ohne Begrüßung und ohne Einleitung sprudelte es aus Henry hervor: »Ich sehe mich wie einen Spiegel. Ich tue Sachen und beobachte mich. Es sieht so aus, als stünde ich daneben.«
    »Wenn du träumst oder auch sonst?«
    »Auch sonst. Im Geschäft zum Beispiel. Oder gestern Abend auf der Burg beim Essen. Ich habe gesehen, und zwar von der Seite aus etwa einem Meter Entfernung, wie ich die Gabel zum Mund geführt habe. Und das auch noch mit der falschen Hand. Ich bin Linkshänder.« Henry stand auf und öffnete das Fenster. Die Tür wollte er auch offen stehen lassen, aber im Vorraum saß die Mitarbeiterin von Ludevik. Notgedrungen schloss er sie wieder.
    Ludevik machte sich Notizen. »Hast du allein gegessen?«
    »Nein.« Henry rückte den Stuhl zurecht, mit den Vorderbeinen exakt an eine Fuge im Parkett, setzte sich und schaute zum Fenster hinaus.
    »Und wie sahst du die anderen?«
    »Normal, vollkommen normal aus meiner Position am Tisch. Frontal oder so. Nur mich sah ich von der Seite, als stünde ich neben mir. Klaus, sag mir, was ist das?«
    Ludevik war mehr daran gelegen, Henry zu beruhigen als ihm jetzt schon eine Lösung anzubieten. Er gewann erneut den Eindruck, Henry wolle sich als klar denkender Mensch, so wie er sich sah, nicht eingestehen, dass er träume. Die Realität, das Bewusste, kämpfte deshalb mit dem Unbewussten. Und um das Unbewusste zu erklären, bemühte er seine scheinbare Logik. Und diese Logik lieferte ihm auch prompt eine Lösung: Er stand daneben und konnte nur sich selbst beobachten. Allerdings entdeckte Henry nicht den Widerspruch, wie er es anstellen konnte, neben sich selbst zu stehen.
    »Du beobachtest dich. Du merkst, etwas stimmt nicht und kontrollierst dich, um dich davon zu überzeugen, dass es nicht so ist. Damit du Gegenmaßnahmen ergreifen kannst. Deshalb

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