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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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schuld gewesen«, verbesserte Henry.
    Auf die Frage, ob er wisse, dass er sich damit vor gewissen Dingen und vor unangenehmen Problemen geschützt habe, antwortete Henry nicht. Und auch nicht auf die Feststellung, dass er dadurch Schwierigkeiten ausgewichen sei. Er habe sie nicht gelöst, sondern sich sprichwörtlich von ihnen gereinigt. Nachdem Ludevik so deutlich geworden war, hatte Henry einige Minuten nichts gesagt und schließlich darauf bestanden, zu gehen.
    Ludevik hatte ihm noch etwas zu erklären versucht. »Henry, ich sehe in dir zuerst einmal dich als Person, wie ich sie kenne. Erst dann eventuell den Patienten. Deshalb rede ich vielleicht anders mit dir als mit meinen anderen Patienten. Natürlich bin ich auch gefühlsmäßig wesentlich stärker involviert. Hoffentlich ist das gut. Hoffentlich kann ich dir helfen. Und wenn du einen deiner Träume hast, rufe mich ruhig an, auch wenn es mitten in der Nacht ist.«
    Achterbusch feierte seinen fünfunddreißigsten Geburtstag. Auch die halbrunden Geburtstage wurden im SUV entsprechend gefeiert. Überhaupt ließ man keine Feier aus. Dass man sich dabei stets im gleichen Kreis bewegte, störte niemanden. Und damit der Kreis auch in der Freizeit der gleiche blieb, fuhren viele gemeinsam in Urlaub. Etliche hatten sich eine Wohnung auf Gran Canaria gekauft. Man nannte sie die Gran Canaria Connection. Nicht genug damit, hingen sie auch noch im Tennisclub oder in anderen Vereinen zusammen. Die Elite war immer unter sich. Und wollte es auch bleiben. Elitäre Unzucht hatte es mal einer genannt. Und weil Saarburg als Stadt so klein und beschaulich war, hatte er hinzugefügt: schmalspurige, elitäre Unzucht, die zwangsläufig zur Dekadenz führt. Erst recht, wenn man sich auch noch gegenseitig heiratet.
    Der betreffende Saarburger hatte sich mit dieser Bemerkung sehr viele Feinde gemacht. Vergessen würde man ihm das nie.
    Achterbusch beabsichtigte zuerst, zu Hause im Garten zu feiern, aber das Wetter spielte nicht mit. Deshalb war er ausgewichen und hatte sich einen Saal gemietet, gleich an der Saar mit Blick auf die Burg.
    Henry kam spät. Er war der letzte Gast. Hatte man ihn auch früher schon über Gebühr beachtet, wegen seines Erscheinungsbildes und seines Gehabes, heute Abend schauten alle Anwesenden höchst verwundert auf ihn. Während er noch bis vor wenigen Wochen hoch aufgerichtet und stocksteif den Raum betreten und durchschritten hätte, heute kam er lässig auf Achterbusch zu, eine Hand in der Hosentasche und in der anderen eine Zigarette. Aber das war es noch nicht allein. Henry trug Jeans, darüber ein Hemd, das ihm aus der Hose hing. Sein Kragen stand offen, im Gesicht spross ein Dreitagebart, das Haar hatte sich erfolgreich gegen einen Kamm gewehrt. Er sah wild und draufgängerisch aus. Seine Augen funkelten. Jeder, den er anschaute, senkte den Blick. Und Henry roch bereits nach Alkohol.
    »Alles Gute zum Geburtstag«, gratulierte Henry laut und die Anwesenden hielten den Atem an. Er gab Achterbusch die Hand, hatte aber kein Geschenk dabei.
    »Geht es dir nicht gut?«, fragte Achterbusch und zog Henry auf die Seite. »Willst du einen Kaffee?« »Deinen Kaffee kannst du dir in den Arsch stecken«, antwortete Henry mit schwerer Zunge. »Gib mir was Kräftiges. Einen Scotch.«
    Henry nuckelte an dem Whiskey und starrte vor sich hin. Viele zeigten Verständnis für ihn, denn es sei nun mal nicht leicht, wenn man seine Frau verloren habe. Und das auf so schreckliche Art und Weise. Aber andere wiederum lachten sich heimlich ins Fäustchen. Endlich. Endlich benahm sich Henry so, dass es sich lohnte, über ihn herzuziehen. Endlich wurde er in ihren Augen normal und angreifbar. Die Bataillone der Neider formierten sich, die aufgesparte Munition konnte also verschossen werden. Was für ein Fest.
    Gille, Achterbuschs Frau, bemühte sich um Henry. Aber dieser konnte sie immer noch nicht leiden und ließ sie das auch spüren. Dann wagte sich Susi zu ihm.
    »Henry, du gefällst mir, so wie du dich gibst.«
    Henry sah sie mit stumpfen Augen an. »So? Ich gefalle dir?«
    »Ja. Aber auch sonst. Heute jedoch besonders.«
    »Wieso heute besonders?«
    »Du bist so … so … wie soll ich sagen, so außerhalb jeder Norm. So animalisch und wild. Einfach irre.«
    »Interessant. Außerhalb jeder Norm. Das habe ich ja noch nie gehört. Wo ist denn dein Jonas?«
    Susi zuckte mit der Schulter.
    »Nicht hier?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Er wollte nicht. Aber wegen so einem

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