Das Erwachen
Sorgen.
Zum einen, weil es kein Vergnügen für ihn war, den Stein bei sich zu tragen.
Zum anderen, weil er sich ohne ersichtlichen Grund elend fühlte.
Seine neuen Gefährten, die Nordländer Harald und Bjarne, waren der einzige Gewinn seiner Reise nach Englalond. Sie hatten sich während der schwierigen Überfahrt anständig betragen und angesichts seiner Seekrankheit keinerlei Anzeichen von Respektlosigkeit erkennen lassen.
Und sie legten keine unziemliche Hast an den Tag, nach Bochum zu gelangen und den Lohn dafür zu ernten, dass sie nun seine Gehilfen waren.
»Bruder Slew«, sagte Harald, »wozu sollte das gut sein? Einem kranken Hydden tut Eile nicht wohl. Wir wollen es gemächlich angehen lassen und uns an der Straße einen Platz suchen, wo Sie sich erholen können.«
Gesagt, getan. Jenseits der friesischen Heide legten sie eine Rast ein. Während dort Lerchen trillerten und die Pilger zu den Hafenstädten zogen, um nach Englalond überzusetzen, nahmen sie ein halb verfallenes Haus in Beschlag und verweilten dort mehrere Tage.
Slew blieb grau im Gesicht, krümmte sich unter Krämpfen und konnte kein Essen bei sich behalten.
Harald und Bjarne brachten die Tage damit zu, wehrlose Durchreisende auszurauben, ihnen Geld und Proviant abzunehmen oder ihnen stattdessen Gefälligkeiten abzunötigen. Als drei Mönche vorbeikamen,ließen sie sich von den Nordländern von der Straße locken.
Die Brüder ermordeten die Brüder, wie Slew, der seinen beißenden Humor noch nicht ganz verloren hatte, es ausdrückte. Sie bemächtigten sich der schwarzen Kutten und zogen sie an. So wurde der Orden der Kugel geboren, mit dem kranken Slew als Vorsteher und den beiden Nordländern als ersten Mitgliedern. Es war als Scherz gemeint, doch als Slew genas und sie die Reise fortsetzten, wurde daraus Ernst.
»Wofür tretet ihr ein?«, fragte man sie. »Woran glaubt ihr?«
Slew übernahm das Antworten.
»Knüp«, sagte er, »die alte Kampfkunst im Dienste des Guten und Wahren, deren Symbol, meine Freunde, die Kugel des CraftLords ist.«
»Knüp? Nie davon gehört. Ist das etwas Heiliges?«
»Etwas Hochheiliges.«
Slews Jünger gaben allen, die bei ihnen Halt machten, zu verstehen, dass eine Spende in Form von Naturalien oder Geld jedem, der von Herzen gebe, Erleuchtung bringe und zu einem besseren Bild im Spiegel verhelfe. Die Pilger zeigten sich freigiebig Mönchen gegenüber, die größer waren als sie selbst und ihre Knüppel so hielten, als wollten sie Gebrauch davon machen.
Derweil wankte Slew die Straße entlang, nur noch ein Schatten des Meisters, der er gewesen war.
Er gab dem Stein die Schuld, denn er glaubte, dieser sauge das Leben aus ihm heraus. Er wollte ihn loswerden und hoffte, seinen inneren Frieden wiederzufinden, wenn er sich in Bochum von dem Stein trennte. Er wollte das blendende grüne Licht vergessen, ebenso wie die Bilder der Frühlinge seiner Kindheit im Thüringer Wald, in dem er aufgewachsen war.
Als er nach einer langen und ermüdenden Reise endlich in Bochum ankam, stellte er zu seiner Überraschung fest, dass ihm die Kunde von seiner angeblich geheimen Mission und ihrem Erfolg vorausgeeilt war. Die Ankunft des Steins im Herzen des Reichs so kurz nach dem Erwachen des Kaisers löste eine Aufregung aus, die einige nur mit Mühe verkrafteten. Die Leute hüpften vor Freude und wurden nicht müde, über das Wie und Weshalb und Warum und überhaupt alles zureden, was mit dem wiedergefundenen Stein des Frühlings in Zusammenhang stand.
Wie in Brum wollten die Leute ihn auf der Stelle sehen. Oder, falls das nicht möglich war, wenigstens die Hand des Hydden drücken, der ihn nach Hause geholt hatte, denn das Zuhause des Steins war für sie Bochum.
»Es ist nur recht und billig, dass er hier ist! Schließlich taugt kein anderer Ort im Reich dafür besser ... Natürlich wird er ausgestellt! Der Kaiser wird es sehr bald anordnen, ihr werdet sehen ...«
Wenn die Leute Slew nicht die Hand drücken konnten, so wollten sie wenigstens den Saum seines schwarzen Mantel berühren – oder die Kutte des Kugelordens, in der er sich bisweilen zeigte.
War auch dies nicht möglich, so hielten sie sich an die Nordländer, die er mitgebracht hatte, zwei starke Hydden und Zwillinge, auch wenn sie nicht so aussahen. Harald und Bjarne hatten sich Slew angeschlossen, weil sie auf ein besseres Leben gehofft hatten. Und diese Hoffnung erfüllte sich. Jede Nacht klopften Frauen an ihre Türen. Jeden Tag verköstigte der
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